Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Silbertablett neben ihm standen stilvoll die Kanne mit Kaffee, ein Kännchen mit echter Sahne und ein Schälchen mit gewürfeltem Zucker. Ein Ort, an dem er arbeitete, sich für die Prozesse vorbereitete, sich wohlfühlte, lebte.
Eine Frau nahm er sich nie oder eine Frau ihn nicht – so genau konnte man das nicht durchschauen. Ihm schien Elisabeth Karpfenberg zu genügen, seine über alles geschätzte langjährige Anwaltsgehilfin, Sekretärin, Kaffeeexpertin und Beraterin in fast allen Lebenslagen. Sie war nur zwei Jahre jünger als er.
Von Hagenreuther trug in dem Moment, als das Telefon schellte, eine Lupenbrille mit 2,4-facher Vergrößerung sowie weiße Baumwollhandschuhe und hielt eine Pinzette zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn er den Kopf hob und nach unten durch die Lupe schielte, rutschte das Haarteil ein wenig nach hinten. Trotz seiner beachtlichen Fülle war von Hagenreuther ein eitler Mann mit einem gediegenen Maß an Würde geblieben.
Das Objekt seiner Faszination, seiner tiefen Begierde, auf das er starrte und für das er das Verrutschen des Toupets in Kauf nahm, war ein Neuerwerb, ein 30- Pfennige- Tientsin, Handstempelaufdruck von 1900, geschätzter Wert, falls gestempelt wie gottlob in seinem Falle, 4000 Euro . Ihre Zacken waren makellos, der Stempel so frisch, als könnte er die schwarze Farbe des Kissens, von dem sie stammte, riechen. Er gab ihr einen Ehrenplatz im Album, gleich neben einer 1- Schilling- Marke von 1864, Mecklenburg Strelitz 3 für lächerliche 1500 Euro ein Jahr zuvor erworben.
Von Hagenreuther schmatzte vor Wonne. Wie unschuldig sie alle unter der Folie wirkten, beinahe schutzlos dem Licht der Sonne ausgeliefert, wenn er das Album aufklappte. Sein Puls wurde ganz ruhig bei dieser Tätigkeit, rutschte weit unter die sechzig, eine Art, Herz und Nerven zu entspannen, die dem Arzt wegen entgangener Honorare Tränen in die Augen trieb.
Noch immer schellte es. Ein durchgestelltes Gespräch trotz eindeutiger Anweisungen, dass er bei der Arbeit nicht gestört werden möge.
Unwillig nahm er den Hörer in die Hand. Das Album klappte hörbar zu.
»Von Hagenreuther.«
Martin erschrak ob der unwirschen Entgegennahme des Gespräches. »Hallo, Dr. von Hagenreuther. Hier spricht Kommissar Martin Pohlmann.« Martin betonte die Worte ruhig und gefasst. Der Eindruck, den er hinterlassen wollte, war der eines Mannes, der wusste, wovon er sprach, der keine haltlosen Vorwürfe vorbringen würde, die er nicht auch untermauern könnte. Vor allem eines Mannes, der von seiner Unschuld restlos überzeugt war.
Eine Pause entstand. Von Hagenreuther fragte sich, ob er alles richtig verstanden hatte. Vielleicht war er auch noch nicht vollständig aus der Welt der Marken wieder aufgetaucht.
»Pohlmann? Sie können mitnichten Martin Pohlmann sein. Das ist unmöglich.«
»Warum nicht? Das kann ich durchaus.«
»Sagen Sie mir die Nummer auf Ihrem Dienstausweis.«
Martin staunte über diese Reaktion.
»Einen Moment.« Martin legte das Handy beiseite und kramte seinen Ausweis hervor. In den letzten Tagen war er eher mit dem gefälschten Ausweis eines Norbert Wagner vertraut gewesen. Er hielt wieder das Handy ans Ohr und las vor: »724620.«
Von Hagenreuther antwortete nicht gleich. Eisige Kälte lag in seiner Stimme. Er glaubte dem Anrufer nicht, war aber trotzdem neugierig. Man hörte ihn sich in seinem Bart kraulen. Es knisterte.
»Woher haben Sie diesen Ausweis? Haben Sie ihn gestohlen?«
»Himmel, nein. Es ist mein eigener.«
»Was wollen Sie, wer auch immer Sie sind?«
»Scheiße, Sie glauben mir immer noch nicht. Erkennen Sie mich denn nicht an meiner Stimme? Was wollen Sie hören, was Sie überzeugt?«
Von Hagenreuther dachte nach.
»Wie hieß die Mutter Ihrer damaligen Verlobten?«
Die Antwort kam überraschend schnell. »Talius. Margot Talius hieß sie.« Namen von Schwiegermüttern in spe merkte man sich in der Regel nicht so gut.
»Wie alt wurde Sabine Talius?«
»Mensch, übertreiben Sie mal nicht. Sabine wurde 38 Jahre alt, drei Monate und vier Tage und sieben Stunden, die letzte davon hat sie in meinen Armen im Todeskampf verbracht. Reicht das nun, von Hagenreuther? Das ist jetzt nicht mehr witzig.«
»Okay, entschuldigen Sie, aber ich konnte wirklich nicht glauben, dass Sie mich anrufen. Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor und eine Klageschrift auf meinem Schreibtisch wegen nicht unerheblicher Vergehen. Wie konnten Sie sich nur solche Sachen einbrocken?«
Martin stöhnte
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