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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Nazis haben es dir echt angetan, was?«
    »Ich hab viel investiert, wie du weißt. Meine Knochen und meinen Ruf. Die Knochen sind wieder heil. Mein Ruf? Na ja. Was davon übrig geblieben ist. Man redet schon in Salzhausen und Lüneburg über mich. Ich hätte meinen Biss verloren, sei angepasst und lammfromm geworden.«
    »Und? Bist du es nicht?«
    »Bisschen weichgespült vielleicht.«

Kapitel 19
    Juni 2011, Hamburg

    Unscheinbar wie er selbst, kroch Jerome durch den Verkehr der Hamburger Innenstadt. Er blickte aus dem Seitenfenster seines zehn Jahre alten giftgrünen VW-Golf. Auf der Lombardsbrücke schaute er aufs Wasser, so wie immer, wenn er dort entlangfuhr. Er liebte den Blick auf Wasser, zu jeder Zeit, an jedem nur möglichen Ort. Er hoffte, dort Beruhigendes zu finden, leider meist vergeblich. Sonnenstrahlen reflektierten auf kleinen kräuselnden Wellen der Binnenalster, die von einer Barkasse aufgeworfen wurden. Dann bog er auf den Glockengießerwall, der Verkehr lichtete sich, es wurde zweispurig. Er ließ den Hauptbahnhof links liegen, folgte der Spur auf dem Steintorwall und gelangte auf den Klosterwall. Hier bog er ab in die Amsinckstraße, links unter Bahngleisen hindurch. Von der B4 bog er auf die 75. Nachdem er den Elbeseitenkanal überquert hatte, verließ er die Bundesstraße. Von hier aus führten verschiedene Wege zu seinem Versteck.
    Der Führerschein und die Fahrzeugpapiere von Karl-Heinz Lamprecht klemmten hinter der Sonnenblende des Fahrersitzes. Sowohl das Auto als auch den ehemaligen Besitzer vermisste niemand und jedem Bullen der Stadt genügte es, die Übereinstimmung der Papiere mit jenen der Flensburger Verkehrsdatei feststellen zu können. Dafür hatte er gesorgt. Die Reifen hatten noch genug Profil, Verbandszeug und Warndreieck befanden sich im Kofferraum und er war nüchtern, nie jedoch ohne chemische Substanzen im Körper.
    Eine Weile fuhr er neben den Gleisen her, bog dann rechts ab über die Sachsenbrücke und kam in seinen privaten Hamburger Vorort, den ›Kleinen Grasbrook‹. Ab hier fiel er sowieso nicht mehr auf. Zwischen Tausenden zwischengelagerten Neuwagen und Containern fuhr er mal links, mal rechts durch die Reihen hindurch. Für die Menschen, die ihn sahen, war er nur einer der vielen Lagerarbeiter und selbst, wenn man unbefugten Zutritt vermutet hätte, wäre es den müden Männern egal gewesen. Kühles Bier und Kartoffelchips im heimischen Sessel lockten.
    Die frühere Binneninsel ›Kleiner Grasbrook‹ lag stromaufwärts zwischen Veddel, Steinwerder und stromabwärts mit Wilhemsburg im Süden. Nicht gerade Wohngebiete, in denen man vor Einsamkeit sterben würde. Schaute man auf die gegenüberliegende Seite der Norderelbe, erhaschte man einen Blick auf die ehemals verbundene Insel ›Großer Grasbrook‹, die nahtlos in die Hamburger Innenstadt überging.
    ›Grasbrook‹, so wusste Jerome aus alten Unterlagen, deutete auf tiefliegendes, feuchtes Bruchland hin, im fünfzehnten Jahrhundert die Viehweide der Hamburger Bürger. Heute wohnten nur noch sehr wenige Menschen auf diesem sonderbaren Fleckchen Erde. Manche nur aufgrund der Nähe zu ihrer Arbeit, andere aus Sentimentalität. Viele Gebäude standen leer, abbruchreif oder für neue Aufgaben im Hinterkopf der Städteplaner reserviert. Nicht jedoch jenes, in dem sich Jerome eingenistet hatte. Ungeniert und frech saugte er hier an der üppigen und nie versiegenden Quelle der städtischen Brust; keine Miete, keine Grundsteuer, keine Strom- oder Wassergebühr. Niemand fragte danach, ob und was mit diesen Gebäuden in der Zukunft geschehen sollte, egal, was man in Erwägung zog, es war eh zu teuer. Den Strom hatte man nie abgeschaltet, das Wasser floss in Strömen und jemand, der Zählerstände ablas, kam auch nie. Ein Glücksgriff für Jerome, der ein untrügliches Gespür für solcherlei Unterschlupfe besaß. Doch hier fühlte er sich am wohlsten. Von seinem obersten Stockwerk, in das niemand mit einem Feldstecher hineinspähen konnte, hatte er indes den herrlichsten Überblick. Vor ihm die Elbe, dahinter die City. Sogar den Turm der Hauptkirche Sankt Michaelis, kurz ›Michel‹, konnte er von seinem Schreibtisch aus sehen. Erhaben über der Stadt, fühlte er sich unantastbar, überlegen und mächtig.
    Den Wagen stellte er sechzig Meter von dem Haus entfernt ab. Er stieg aus und blickte sich um. Auf dem Rücken ein Seesack mit den Sachen, die er während der Beschattung getragen hatte. Ein Seesack kam in Hamburg

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