Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
Vom Netzwerk:
Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Hamburg, um ihm die merkwürdige
Scherbe zu zeigen, die ihm Micha überreicht hatte. Der wiederum schaltete einen
Historiker ein, um die Bedeutung der Gravierungen in dem Medaillon zu klären.
    Sie stießen auf überraschende Tatsachen.
    Inzwischen hatte der Herzog alles
Nötige veranlasst, damit am kommenden Abend das Bankett im Turmsaal stattfinden
konnte. Das Schloss wurde rechtzeitig für Besucher geschlossen, das Personal bekam
dienstfrei, die beiden Tafeldiener ausgenommen. Ursprünglich wollte Dorndorf das
Gelände unauffällig von einer Polizeistaffel umstellen lassen, aber Kroll riet ab.
Zu sehr fürchtete er eine Blamage. Schließlich hatte er nicht viel Handfestes aufzuweisen.
Nur ein paar Schriftstücke und sonstige Utensilien, die man bei den dezenten Hausdurchsuchungen
entdeckte und für beachtenswert befand.
    Ein schöner Sommertag war im Begriff,
sich zu verabschieden. Am Spätnachmittag überzog sich der Himmel mit einem kaum
wahrnehmbaren, dünnen Schleier von hohen Schichtwolken. Die blaue Farbe des Firmaments
verblasste zunehmend. Vom runden Turmzimmer aus, im Obergeschoss des Schlosses,
einem der anheimelndsten Räume hier, konnte man eine eindrucksvolle Lichterscheinung
bewundern. Um die untergehende Sonne herum hatte sich ein Halo, ein breiter Schleierring
voller heller Lichtflecken gebildet. Als ob sie von geisterhaften Nebensonnen umgeben
wäre.
    Doch im Turmzimmer schenkte niemand
dieser Wettererscheinung Beachtung, die als Vorbote eines schweren Sturms gilt.
Die Menschen plagten andere Sorgen. Der runde Tisch war fürstlich gedeckt. Flackernde
Kerzen auf massiven Ständern wetteiferten mit dem verebbenden Tageslicht. Dennoch
kam keine anheimelnde Stimmung auf. Alle ahnten, dass es heute Abend ums Ganze gehen
würde.
    Die Versammlung war bis auf zwei
geladene Gäste vollständig. Romanowsky, der Pächter, und Caoba, das stumme Waldmädchen,
waren seit dem Konzertabend nicht mehr gesehen worden. Vergebens schickte man den
Postboten mit einem Einschreiben zur Fasaneninsel. Vergebens warteten die Kriebgans
auf ihre Tochter.
    So blieben denn zwei Plätze in der
Runde frei, obwohl Kroll bis zuletzt gehofft hatte, die beiden würden noch auftauchen.
Auf dem Stuhl direkt vor der Tür, die zum sogenannten Europasaal führte, saß Dorndorf,
der örtliche Kriminalkommissar. Es folgten Viviana, die als Blinde von Noël geleitet
werden musste, und Antonio, der Micha ebenfalls galant umarmt zum Tisch brachte.
Ihr Onkel, der Inspektor Kroll, missverstand das. Nanu, seit wann ist denn Micha
krank? Kann sie nicht mehr allein gehen?, grübelte er. Dann nahm er den folgenden
Sitz ein, ohne sich weiter über die Antwort auf diese Frage zu kümmern. Schließlich
musste er sich auf Wichtigeres konzentrieren.
    Die Runde setzte sich fort mit dem
Herzogspaar, dessen Sohn und der Gräfin von Bülow. Dann kam der Schlossverwalter
Diabelli, flankiert von dem Ehepaar Kriebgans. Die nächsten beiden Tischgedecke
blieben wegen der fehlenden Personen unberührt, sodass sich der Ring zu Dorndorf
nicht vollständig schloss.
    Draußen vor der Tür, im Europasaal,
bewachten Dogger und sein Schäferhund die illustre Versammlung. Auf Polizeischutz
hatte Kroll bewusst verzichtet, um die feierliche Atmosphäre nicht zu stören und
um die Gäste nicht noch nervöser zu machen, als sie es wegen der ungewohnten Situation
ohnehin schon waren. Kroll setzte auf Überraschung und Bluff. Er wusste genau, dass
er angesichts der Dürftigkeit seiner Beweise keine andere Möglichkeit hatte, den
Täter zu überführen.
    Nachdem die Tafeldiener den Begrüßungsaperitif
gereicht hatten, erhob sich der Herzog.
    »Verehrte Gäste. Ich habe Sie hierher
gebeten, um dem Andenken des verstorbenen Grafen von Stolberg einen würdigen Rahmen
zu verschaffen. Ich bitte Sie, die Gläser ihm zu Ehren zu heben.«
    Man nippte gehorsam an dem Aperitif.
Die meisten lustlos und mit den Gedanken woanders. Sie ahnten, dass die Anwesenheit
der beiden Kriminalisten nichts Gutes versprach. Der Hausherr ließ sich davon nicht
irritieren und fuhr fort: »Und außerdem möchte ich Ihnen noch ein paar wichtige
Dinge mitteilen, die in Zusammenhang mit seinem unerwarteten Dahinscheiden stehen.«
    Sofort schlug die Stimmung der Anwesenden
um. Mit verhaltener Neugier musterten sie den Sprecher. »Ich bedaure es sehr, dass
nicht alle meiner Einladung gefolgt sind.« Unwillkürlich ließen einige ihre Blicke
zu den leeren

Weitere Kostenlose Bücher