Schattenmenagerie
ramponiert aus. – Dabei hatte es doch bislang nicht geregnet. Und
Micha war sich sicher, dass die Gräfin überhaupt nicht draußen gewesen war.
Weder die Hausherrin noch ihre Gäste
schienen ihren etwas derangierten Zustand zu bemerken.
Micha konnte sich das bei bestem
Willen nicht zusammenreimen. Sie gab es auf, weiter darüber zu grübeln und schloss
sich den Jugendlichen vom 1. FC Eutin an, die sich auf einen Wink von Noël hin unauffällig
in Richtung Künstlergarderobe zurückzogen.
»Ich habe euch etwas zu erzählen«,
begann Viviana die geheime Sitzung. Sie dauerte nicht lange, und was dort besprochen
wurde, blieb das Geheimnis der Jugendlichen. Am Ende hielt Micha einen faustgroßen
gelblichbraunen Gegenstand in der Hand. »Zeig ihn deinem Onkel. Er soll herausfinden,
was das ist und woher das stammt«, vertraute man ihr an.
Das Mädchen mischte sich wieder
unter die Premierengäste und hielt Ausschau nach seinem Onkel. Der saß zusammen
mit seinem Kollegen an einem Katzentisch und ließ gelangweilt Dorndorfs Unterweisungen
in die Ästhetik des klassischen Kontrapunkts über sich ergehen.
»Ich muss dir
etwas erzählen, – aber bitte unter vier Augen«, ahmte sie Viviana im gleichen Ton
nach. Kroll war froh, dass ihn seine Nichte ablenkte. »Lass uns rübergehen nach
da hinten. Da kann keiner zuhören.« Kroll raunte Dorndorf irgendeine schwache Erklärung
zu und verzog sich recht unhöflich.
»Es ist ein Geheimnis«, begann Micha.
»Und es muss vorläufig auch eins bleiben. Ich hab’s Antonio versprochen.«
»Wer zum Teufel ist Antonio?«
Micha errötete leicht. Das genügte
Kroll, um seine Frage beantwortet zu wissen.
»Das ist jetzt nicht wichtig. –
Erinnerst du dich, dass wir seinerzeit sagten, wir wollten dir bei der Suche nach
dem Mörder von diesem Stolberg helfen?« Schlagartig war Kroll nicht mehr der Onkel,
sondern der Kriminalist. Er begann, ihr sehr aufmerksam zuzuhören.
Es wurde eine lange, ernste Unterredung.
An deren Ende verschwand der gelbbraune Steinbrocken in Krolls Hosentasche. »Interessant,
was du da erzählst. – Aber ob das für eine Überführung des Täters reicht?«
Dann kehrte er zu den Konzertbesuchern
zurück, die sich inzwischen über das Büffet hergemacht hatten. Er bat den Herzog
unauffällig auf ein Wort in eine Ecke des Saales.
»Ich möchte
Sie bitten, mir für übermorgen einen repräsentativen Raum im Eutiner Schloss zur
Verfügung zu stellen und eine Reihe von Personen zu einer wichtigen Konferenz einzuladen.
Es geht um den Abschluss meiner Ermittlungen im Fall Graf Stolberg et alii.«
Der Herzog schaute
ihn neugierig gespannt an. »Mehr kann ich Ihnen zur Zeit leider nicht verraten.
Sie erhalten morgen per Fax eine Liste mit den Namen derjenigen, deren Anwesenheit
ich wünsche.« Kroll wollte sich verabschieden, da fiel ihm noch ein: »Und dürfte
ich Sie bitten, es als feierliches Bankett, zum ehrenvollen Gedenken an den verstorbenen
Grafen, zu deklarieren? – Wichtig ist auch, dass wir in der Zeit nicht gestört werden.
Also bitte sagen Sie alle Besichtigungen ab und geben Sie dem Personal, soweit es
möglich ist, frei.«
Jetzt war es
an der Zeit, sich höflich und unauffällig, aber bestimmt von der Gastgeberin und
der Herzogfamilie zu verabschieden. Auf dem Nachhauseweg schwiegen beide, Micha
und Michael. Zu müde waren sie. Jeder hing seinen Gedanken nach. Kurz hinter Ahrensbök
meinte Kroll:
»Endspurt!« Dann legte er eine CD
von Led Zeppelin in seine Autostereoanlage und drehte die Lautstärke so hoch, dass
die Musik den Motorenlärm überdröhnte. Das brauchte er jetzt. – Um in Ruhe nachdenken
zu können.
Kapitel 23: Im Turmzimmer
Am nächsten Tag brummten die Büros der Kripo sowohl in Lübeck als auch
in Eutin wie ein Hornissennest. Krolls Assistent Hopfinger wurde an seinen Computer
gekettet, um Stunden über Stunden in diversen polizeilichen Datenbanken und im Internet
Recherchen anzustellen. Die Sekretärin, Frau Grell, wühlte sich durch einen Berg
von Tageszeitungen und Aktenordnern, um längst vergangene Vorgänge wieder ans Tageslicht
zu zerren. Die Kollegen in Eutin mussten, als Handwerker verkleidet, ein paar verdeckte
Hausdurchsuchungen mit viel Fingerspitzengefühl ausführen. Schließlich reichte das
dürftige bisherige Beweismaterial nicht aus, um den Staatsanwalt zu bemühen.
Wer stützt seine Anklage schon auf
die Fantastereien einiger Jugendlicher?
Kroll selbst fuhr zu einem Bernsteinspezialisten
am
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