Schattennacht
Bodachs.
3
In das alte Abteigebäude, das nun als Internat diente, war eine moderne Versorgungstechnik eingebaut worden, die von einem Computer im Keller aus gesteuert und überwacht werden konnte.
Das spartanische Computerzimmer war lediglich mit einem Schreibtisch, zwei Stühlen und einem ungenutzten Aktenschrank möbliert. Genauer gesagt, die unterste Schublade des Schranks war mit unzähligen KitKat-Hüllen vollgestopft.
Bruder Timothy, der für die Haustechnik der Abtei und des Internats zuständig war, war süchtig nach KitKat. Offenbar war er der Ansicht, dass seine Gier nach Süßigkeiten gefährlich nahe bei der Sünde der Völlerei angesiedelt war, sonst hätte er sich wohl nicht bemüht, die Spuren davon zu verwischen.
Nur Bruder Timothy und von auswärts kommende Handwerker hatten Gründe, sich häufig in diesem Raum aufzuhalten. Deshalb war sein Geheimnis hier gut geschützt.
Dennoch wussten alle anderen Mönche Bescheid. Viele von ihnen hatten mir grinsend und mit einem Augenzwinkern den Tipp gegeben, einmal einen Blick in die besagte Schublade zu werfen.
Niemand konnte wissen, ob Bruder Timothy seine Völlerei dem Prior, Pater Reinhart, jemals gebeichtet hatte. Die Existenz seiner Hüllensammlung wies jedoch darauf hin, dass er erwischt werden wollte.
Seine Brüder freuten sich offenbar schon darauf, den Beweis für seine Untaten zu entdecken, allerdings erst, wenn die Sammlung noch weiter angewachsen war, und dann auch noch im richtigen Moment – das hieß, wenn es Timothy am peinlichsten war.
Alle mochten Bruder Timothy, aber zu seinem Unglück war er dafür bekannt, ungewöhnlich stark zu erröten. Dann leuchtete sein Gesicht wie ein Lampion.
Dazu hatte Bruder Roland folgende Theorie entwickelt: Wenn Gott einem Menschen eine derart prachtvolle Reaktion auf peinliche Erlebnisse geschenkt hatte, dann nur, weil es sein Wille war, dass diese Eigenschaft möglichst oft und zur allgemeinen Freude zur Schau gestellt wurde.
An einer Wand des Kellerraums, den die Mönche insgeheim als KitKat-Katakombe bezeichneten, hing eine gerahmte Stickarbeit mit den Worten: DER TEUFEL STECKT IM DATEN-DSCHUNGEL.
Mithilfe des Computers konnte ich den Leistungsverlauf und die momentane Funktion des Heiz- und Kühlsystems, der Beleuchtung, der Brandschutzeinrichtung und der Notfallgeneratoren überprüfen.
Im ersten Stock schlichen die drei Bodachs wahrscheinlich immer noch von Raum zu Raum und betrachteten die zukünftigen Opfer, um sich intensiver an deren Tod weiden zu können, wenn es so weit war. Mehr hätte ich dadurch, dass ich sie beobachtete, nicht erfahren.
Was mich in den Keller getrieben hatte, war Angst vor dem Ausbruch eines Feuers. Deshalb studierte ich auf dem Bildschirm erst einmal alle Anzeigen, die mit dem Brandschutz zu tun hatten.
In jedem Raum war mindestens ein Sprinkler in die Decke eingelassen. Die Flure waren noch großzügiger ausgestattet; hier
waren die Sprinkler an der Deckenmitte in fünf Metern Abstand angeordnet.
Dem Überwachungsprogramm zufolge waren sämtliche Sprinkler in Ordnung, und in allen Wasserrohren herrschte der erforderliche Druck. Die Rauchmelder und die Feuermelder funktionierten und führten im vorgeschriebenen Abstand einen Selbsttest durch.
Ich klickte mich aus dem Brandschutzsystem und rief die Daten des Heiz- und Kühlsystems auf. Besonders interessierten mich die Heizkessel, von denen das Internat zwei besaß.
Weil man in diese abgelegene Bergwelt keine Gasleitung verlegt hatte, wurden die beiden Kessel mit Propangas betrieben. Zur Speicherung war in einer angemessenen Entfernung von den Gebäuden ein großer Drucktank im Boden vergraben.
Der Anzeige zufolge enthielt dieser Tank momentan vierundachtzig Prozent seines maximalen Fassungsvermögens. Die Durchflussmenge schien normal zu sein. Sämtliche Ventile funktionierten. Das Verhältnis der erzeugten Energie zum Gasverbrauch ließ erkennen, dass kein Leck vorlag. Auch die beiden unabhängigen Notschalter waren in Funktion.
Auf der Anzeige war jeder Punkt, an dem ein mechanisches Versagen möglich war, durch ein kleines grünes Licht gekennzeichnet. Kein einziger roter Punkt verunstaltete den Bildschirm.
Mit Feuer hatte die drohende Katastrophe also offenbar nichts zu tun.
Unwillkürlich warf ich erneut einen Blick auf die Stickerei an der Wand über dem Computer: DER TEUFEL STECKT IM DA-TENDSCHUNGEL.
Als ich fünfzehn war, haben ein paar wirklich üble Typen mit flachen, runden Filzhüten, wie
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