Schattennaechte
können.
»Mein Gott«, murmelte Tanner schließlich.
Michael Craig Houston. Roland Ballencoas ehemaliger Zellengenosse. Sein mutmaßlicher Komplize bei dem unbewiesenen Mord an seiner Tante.
Als Erstes fuhr Lauren zu einem Kopierladen in der Nähe des Campus und kopierte jede einzelne Seite des Notizbuchs aus den Jahren 1985 bis 1986. Die Kopien steckte sie in einen braunen Umschlag und adressierte ihn an Detective Mendez im Büro des Sheriffs. Was immer mit Ballencoa geschah, dieser Umschlag würde in die Hände von jemandem gelangen, der vielleicht etwas damit anfangen konnte.
Anschließend suchte sie ein Elektrogeschäft auf und kaufte ein kleines Diktiergerät, Kassetten und Batterien. Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt und ihre Sonnenbrille nicht absetzte, zog sie neugierige Blicke auf sich. Sie wusste, dass ihre Arme zerkratzt waren und ihre Kleidung verdreckt war. Wahrscheinlich sah sie aus, als würde sie auf der Straße leben.
Ihre Vermutung bestätigte sich, als sie auf die Toilette ging und sich in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken musterte. Egal. Sie hatte sich um Wichtigeres zu kümmern als um ihr Aussehen.
Sie legte Batterien und eine Kassette in das Diktiergerät, probierte es aus und suchte nach einem geeigneten Versteck an ihrem Körper. Schließlich schob sie es in ihren BH unter die rechte Brust. Es war unbequem, aber es funktionierte. Das T-Shirt, das sie trug, hatte Lance gehört und war einige Nummern zu groß für sie, es hing lose an ihr herunter und ließ nicht viel von ihren Körperformen erkennen.
Sie überprüfte die Walther, die von dem Höschenteil der Stützstrumpfhose an ihren Bauch gepresst wurde. Bei der Flucht aus Ballencoas Haus war sie ein wenig verrutscht. Sie schob sie zurecht und dachte dabei an ihren letzten Besuch auf dem Schießstand.
Brust, Brust, Kopf.
Brust, Brust, Kopf.
Sie streckte die Hände mit gespreizten Fingern aus. Sie zitterten kaum.
Ob sie es schaffen würde, zu zielen und abzudrücken, wenn es nötig war?
In den vergangenen vier Jahren hatte sie sich diesen Augenblick unzählige Male vorgestellt. In ihren Träumen war Ballencoa tausend Tode gestorben. War sie wirklich bereit, diesen Traum wahr werden zu lassen?
Ich bin bereit, all dem ein Ende zu machen , dachte sie.
Sie wollte eine Antwort von ihm. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, was sie tun würde, wenn sie sie bekam.
Wie blöd bist du eigentlich, Lauren? , fragte sie sich. Er wird dir sagen, was du hören willst, wenn du ihm eine Pistole an den Kopf hältst.
Sie gab sich selbst die Antwort: Ich werde es spüren.
Sie würde es erkennen, auch in diesen kalten, leblosen Augen. Sie würde es wissen. Weil es um Leslie ging, würde sie bemerken, ob er log oder die Wahrheit sagte … jedenfalls redete sie sich das ein.
Das wäre der Moment, auf den in den vergangenen vier Jahren alles zugesteuert war. Das große Finale. Gut gegen Böse. Mutter gegen Kinderschänder. Eine seltsame Erregung bemächtigte sich ihrer. Sie würde endlich erfahren, was mit ihrer Tochter geschehen war … oder bei dem Versuch sterben.
51
Michael Craig Houston war im Januar aus der California Men’s Colony, einer Haftanstalt mit niedriger Sicherheitsstufe in San Luis Obispo, entlassen worden, nachdem er zwei von sechs Jahren wegen Diebstahls abgesessen hatte. Sein Vorstrafenregister war lang. Offenbar suchte er sich am liebsten Frauen als Opfer für seine Betrügereien aus, aber er war sich auch für einen Einbruch nicht zu schade, und in seiner Akte stand, dass er eine Waffe hatte und sie zur Einschüchterung benutzte.
Selbst auf dem Karteifoto strahlte er die Eitelkeit eines Mannes aus, der meinte, wegen seines Aussehens könnte er sich alles erlauben. Eines dieser neunmalklugen kriminellen Genies, die sich nicht dazu aufraffen konnten, einer ehrlichen Arbeit nachzugehen. Soweit es Mendez betraf, war das einzig Interessante in Houstons Leben seine Verbindung zu Roland Ballencoa.
Sie hatten zusammen im Gefängnis von Humboldt County in Eureka eingesessen, und sie waren beide nach dem Tod von Ballencoas Tante vernommen worden. Für das Wochenende, an dem die Frau gestorben war, hatten sie sich gegenseitig ein Alibi gegeben.
Weil Ballencoa seinen perversen Neigungen allein nachging, hatte Mendez nicht weiter über die frühere Verbindung nachgedacht. Nach Ballencoas Umzug nach San Diego war der Name Houston nicht mehr aufgetaucht. Wahrscheinlich hatte es sich bei der Ermordung der Tante um eine
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