Schattennaechte
Gefahren, denen eine Fahranfängerin auf den kalifornischen Freeways ausgesetzt war. Gefahren wie dem Anpassungsdruck in einer Clique.
Dass sie sich vor Fremden in Acht nehmen sollte, hatten wir ihr eingeschärft, seit sie ein kleines Mädchen war. Aber da wir stets gut auf sie aufgepasst hatten, dachten wir, es könnte nichts passieren.
Wir wohnten in einer Anlage mit einem Sicherheitsdienst, der alles Kommen und Gehen überwachte. Wir wohnten in einer Stadt mit niedriger Kriminalitätsrate und hoher Lebensqualität. Die Mädchen besuchten erstklassige Privatschulen, wo jeder jeden kannte und die Eltern der Kinder miteinander verkehrten. Wir alle wiegten uns in einem trügerischen Gefühl von Sicherheit, als würden wir in einer Blase leben. Und auch wenn wir ständig auf der Hut vor Ungeheuern waren, die in finsteren Ecken lauerten, achtete keiner von uns auf die Gefahr direkt vor unserer Nase.
In der Woche, bevor es geschah, hing der Haussegen bei uns schief. Es war kurz vor Ferienbeginn. Ein paar von Leslies älteren Freunden hatten vor, mit dem Auto an der Küste entlang nach San Francisco zu fahren, und sie wollte dabei sein. Weder Lance noch ich hielten es für eine gute Idee, eine Sechzehnjährige mit ein paar anderen Highschool-Schülern losziehen zu lassen. Da war Streit vorprogrammiert. Wir kannten ihre Freunde zwar und wussten, dass sie nicht über die Stränge schlugen, aber sie waren dennoch Teenager, und wir waren noch nicht so alt, dass wir uns nicht mehr an gefälschte Ausweise erinnerten und daran, wie leicht man an Dope und andere Drogen herankam. Das Risiko, dass etwas passierte, war zu groß.
Leslie war stinksauer auf uns. Sie weinte und schmollte und bekam einen Wutanfall. Sie stimmte das Klagelied aller Teenager an: Wir vertrauten ihr nicht, wie behandelten sie wie ein kleines Kind, die Eltern ihrer Freunde waren viel cooler als wir. Lance und ich blieben hart. Aber meinem Mann fiel es schwerer als mir.
Lance und Leslie waren sich zu ähnlich. Sie teilte die Abenteuerlust ihres Vaters. Sie war sein Ein und Alles, gerade wegen ihrer Willensstärke und ihrem unabhängigen Geist. Sie hatten sich immer besonders nahegestanden, und es fiel ihm schwer, ihr irgendetwas abzuschlagen. Anders gesagt: Er kam nicht damit zurecht, bei ihr in Ungnade zu fallen. Lance war immer der coole Dad gewesen – und er war stolz auf diese Bezeichnung. Seine Unsicherheit ließ sich nicht gut mit seiner Vorstellung von väterlicher Autorität vereinbaren.
An dem Abend, bevor unserer Tochter verschwand, war mein Mann schlecht gelaunt und gereizt. Wir waren mit Freunden zum Essen verabredet.
Wir kannten die Westins seit Leslies Kindergartenzeit. Kent und Jeanie und ihre Kinder Sam und Kelly. Sam war genauso alt wie Leslie. Kelly war Leahs beste Freundin. Kent war der Kinderarzt unserer Töchter gewesen. Zusammen mit ein paar anderen Männern gingen er und Lance jeden Sommer eine Woche lang zum Hochseefischen.
An diesem Abend feierten wir Leslies und Kellys Geburtstag, wie jedes Jahr. Leslie wollte nicht mitkommen. Sie wollte zu Hause bleiben und schmollen und sich am Telefon bei ihren Freundinnen darüber ausheulen, was für furchtbare, spießige Eltern sie doch hatte. Lance und ich bestanden darauf, dass sie uns begleitete. Dieses Essen fand zum Teil ihr zu Ehren statt, und es war eine Art Tradition zwischen unseren beiden Familien. Wir erwarteten, dass sie mitkam und sich anständig benahm.
Die Streitereien zwischen Leslie und ihrem Vater begannen kurz vor unserem Aufbruch und gingen im Auto weiter. Ein scharfes Wort hier, eine freche Bemerkung da. Leslie fand unsere kleine Tradition blöd. Sie war zu alt dafür. Sie konnte die Westins nicht leiden. Dr. Westin war ihr unheimlich. Sam Westin war ein Idiot.
Leah, unser folgsames Kind, schlug sich auf die Seite ihres Vaters, und Leslie blaffte sie an und brachte sie damit zum Weinen. Wir hätten die ganze Sache abblasen, umkehren und nach Hause fahren sollen, aber mittlerweile hatten alle auf stur geschaltet.
Die Stimmung während des Essens war angespannt. Ein mürrischer Teenager am Tisch ist eine harte Nervenprobe. Niemand wusste so recht, was er machen sollte. Leslie ins Gespräch ziehen und versuchen, ihre schlechte Laune zu vertreiben? Gar nicht so einfach, wenn ihre Antworten aus einsilbigen Wörtern bestanden, begleitet von genervtem Seufzen und Augenrollen. Sie ignorieren? Um das zu schaffen, hätten wir blind und taub sein müssen.
Und als hätte das
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