Schattennaechte
nicht gereicht, hackten Leslie und Lance den ganzen Abend weiter aufeinander herum. Ich konnte zusehen, wie mein Mann immer gereizter wurde und Leslie immer aufsässiger.
Eine sarkastische Bemerkung zu viel brachte das Fass zum Überlaufen.
Lance fing an zu brüllen, Leslie fing an zu brüllen. Man bat uns, das Restaurant zu verlassen.
Leah brach in Tränen aus. Den Westins war die Situation furchtbar peinlich. Kent wies Leslie mit ein paar scharfen Worten zurecht. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Am Hals meines Mannes trat eine Ader hervor, und ich hatte Angst, dass er kurz vor einem Schlaganfall stand. Sein Blutdruck war schon unter normalen Umständen zu hoch. Er hatte einen knallroten Kopf.
Zu Hause ging Lance ins Leslies Zimmer und riss das Telefon aus der Dose. Bevor er das Zimmer, den Apparat unter dem Arm, verließ, brüllte er noch, dass sie die nächsten vier Wochen Hausarrest hätte.
Ich ging zu Leah, um sie zu trösten, und sagte, dass die Sache am nächsten Tag schon wieder ganz anders aussehen würde.
Am nächsten Tag ging Leslie trotz des Hausarrests zu einem Softballspiel.
Sie kehrte niemals zurück.
Sturzbachartig liefen die Tränen über ihre Wangen. Lauren vergrub das Gesicht in den Händen und bemühte sich, ihr Schluchzen zu unterdrücken.
Es war Viertel vor zwei in der Nacht. Leah schlief in ihrem Zimmer am anderen Ende des Flurs.
Der Schmerz ließ nicht nach. Nie. Jedes Mal wenn die Wunde von Neuem aufbrach, tat es genauso weh wie am Anfang.
Die Leute versuchten, ihr einzureden, dass der Schmerz im Lauf der Zeit schwächer werden würde, dass die Zeit alle Wunden heilte. Leute, die so etwas sagten, hatten noch nie Schmerz empfunden, nicht diese Art von Schmerz. Es war, als hätte sich ein Alien in ihrer Brust eingenistet. Nur dass sie nicht starb, wenn er hervorbrach. Sie wünschte, es wäre so.
Sie weinte immer weiter, es hörte nicht auf. Vor Anstrengung, das Schluchzen zu unterdrücken, bekam sie keine Luft mehr, als würde sie ertrinken. Sie wollte nicht, dass Leah sie hörte. Sie musste für ihre jüngere Tochter stark sein. Ihretwegen durfte sie sich nicht so gehen lassen.
Zitternd nahm sie ein paar Kleenex und schnäuzte sich. Dann griff sie nach dem Glas Wodka auf dem Schreibtisch und trank in großen Zügen.
Das Problem mit Alkohol war, dass die Wirkung auf sich warten ließ.
Sie trank das Glas in einem Zug leer, aber es half nichts gegen die Schuldgefühle, die Verzweiflung, die Angst um Leslie, die Angst um Leah und die Angst um sich selbst. Es war, als hätte eine riesige Hand zwischen ihre Rippen gegriffen und ihr das Herz aus dem Leib gerissen.
Sie konnte nichts weiter tun, als darauf zu warten, dass die Betäubung einsetzte.
8
»Du darfst nicht weggehen, Leslie«, sagte Leah. »Daddy hat dir Hausarrest gegeben. Ich habe es selbst gehört. Und die Nachbarn wahrscheinlich auch.«
Leslie, die dabei war, sich vor dem Spiegel im Bad zurechtzumachen, warf ihr einen genervten Blick von der Seite zu.
»Daddy ist nicht da«, sagte sie. »Und Mom auch nicht. Sie kriegen es gar nicht mit.«
»Ich bin da«, sagte Leah. »Und ich kriege es mit.«
Leslie verdrehte die Augen. »Warum musst du bloß immer das brave kleine Mädchen spielen? Ich geh doch nur zu einem Softballspiel. Was ist schon dabei?«
»Du hast Hausarrest«, sagte Leah, die nicht begriff, wie Leslie nichts dabei finden konnte.
Leah hatte in ihrem ganzen Leben noch nie Hausarrest bekommen – und so sollte es auch bleiben. Hausarrest bedeutete, dass man etwas Verbotenes getan hatte, und wenn man etwas Verbotenes tat, enttäuschte man seine Eltern. Die Vorstellung, ihre Eltern zu enttäuschen, ertrug Leah nicht.
Leslie stieß einen Seufzer aus. »Du bist wie ein kleines Kind, Leah. Was soll schon groß passieren, wenn ich gegen diesen idiotischen Hausarrest verstoße? Dann ist Daddy eben sauer, na und? Er wird darüber hinwegkommen.«
Leah runzelte missbilligend die Stirn, senkte dabei jedoch den Kopf, damit Leslie es nicht mitbekam. Sie wollte ihre große Schwester nicht enttäuschen.
»Du verrätst mich doch nicht, oder?«, fragte Leslie.
Sie musterte sich im Spiegel. Sie hatte sich viel Mühe mit ihrem Outfit gegeben und trug zu khakifarbenen Shorts und Pennyloafers einen dünnen, übergroßen, schulterfreien schwarzen Pullover über einem knallrosa Trägertop. Ihre langen dunklen Haare hatte sie mit einem rosa Zopfband zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und den Pony so zurechtgezupft,
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