Schattennaechte
mehr eine Empfindung. Das war ein Segen. So musste sie nicht die Hoffnungslosigkeit einer einsamen Zukunft empfinden, die sich vor ihr erstreckte wie eine verlassene Straße.
Gott sei Dank hatte sie die meisten ihrer alten Freunde vertrieben, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, sie wieder zurechtzubiegen und unter die Haube zu bringen. Ihr Zustand wiederum hatte die meisten Männer davon abgehalten, es von sich aus bei ihr zu probieren.
Nur ein Mal in den letzten beiden Jahren hatte sie ihren Schutzschild gesenkt und zugelassen, dass ein Mann sich ihr näherte, und das hatte sie nur getan, um ihn quasi zu kaufen – das sagte sie sich wenigstens, denn sie wollte sich nicht als Frau mit den sexuellen Bedürfnissen einer Frau sehen. Lieber glaubte sie, sie hätte einen bestimmten Zweck verfolgt, als sie mit Greg Hewitt schlief. Wie eine Nutte fühlte sie sich sowieso.
Sie wischte die Erinnerung beiseite, als würde sie nichts bedeuten. Es war noch nicht spät – erst halb zehn –, aber im Haus war es ruhig. Leah hatte sich nicht gut gefühlt, als Lauren sie von der Ranch abholte. Sie hatte kaum etwas zu Abend gegessen und war bald darauf ins Bett gegangen.
Anne Leone hatte gesagt, dass Leah sich bei ihr offenbar wohlgefühlt hätte, aber schon im nächsten Atemzug hatte sie erklärt, sie mache sich Sorgen, sie habe den Eindruck, Leah sei zu verschlossen und verberge Gefühle, die sich womöglich auf anderem Weg einen Ausdruck suchten. Das stimmte. Leah war sehr gut darin, ihre Gefühle zu verbergen. Sie vermied jede Aufmerksamkeit. Wo Leslie das Bedürfnis verspürt hatte, Grenzen zu erproben und zu sprengen, nahm Leah sich zurück und befolgte brav jede Regel. Sie war schon immer das perfekte Kind gewesen.
Lauren musste zugeben, dass ihr das seit Leslies Entführung nur zu gut in den Kram gepasst hatte. Die Last war auch so schon schwer. Da war es leichter für sie, es einfach als Entlastung zu empfinden, wenn das ihr verbliebene Kind nicht mit seinen Problemen oder Ängsten und Gefühlen zu ihr kam, als die Illusion, alles sei in Ordnung, infrage zu stellen. Warum sich umsonst Kummer machen, hatte ihre Mutter immer gesagt. Warum sich Kummer machen, wenn man ihn einfach ignorieren konnte?
Sie ging zum Zimmer ihrer Tochter. Durch einen schmalen Spalt in der Tür fiel ein Streifen Licht. Lauren klopfte sachte an und öffnete die Tür ein wenig weiter.
Rasch wischte Leah sich die Tränen von den Wangen und zog die Decke hoch. Sie saß mit einem Kissen im Arm im Bett. In diesem Moment wirkte sie wie ein Kind von acht Jahren und nicht wie fast sechzehn. Ein kleines Mädchen, verloren in seiner Traurigkeit.
»Wie geht es dir, mein Schätzchen?«, fragte Lauren leise, trat ein und setzte sich auf die Bettkante.
»Geht schon.«
»Nein, das glaub ich nicht«, sagte Lauren sanft und strich ihrer Tochter über die Wange. »Traurig?«
Erneut stiegen Leah Tränen in die Augen und hingen wie Regentropfen in ihren Wimpern. »Ich vermisse Daddy.«
»Ich auch, Kleines«, gestand Lauren, nahm Leah in die Arme und drückte sie fest an sich. »Ich vermisse ihn so sehr.«
Unwillkürlich fragte sie sich, wo sie jetzt stehen würden, wenn Lance sie nicht verlassen hätte. Hätten sie sich wieder gefangen? Hätten sie einen Weg gefunden, um mit dem Geschehenen fertigzuwerden? Wären sie von Santa Barbara fortgezogen? Oder hätte sich die Wunde geschlossen und wäre vernarbt, sodass die Erinnerung im Laufe der Zeit verblasst wäre?
Oder hätten sie sich getrennt? Die Statistiken waren gegen sie, was das Überdauern von Ehen nach dem Verlust eines Kindes anging. Schuld und Vorwürfe breiteten sich aus wie ein Geschwür. Der unterschiedliche Umgang der Eheleute mit ihrer Trauer führte oft zu Entfremdung.
Lauren hätte nie aufgegeben, sie hätte nie die Hoffnung verloren, Leslie zu finden. Und Lance?
»Ich tue mein Bestes, mein Schatz«, murmelte sie, ohne genau zu wissen, ob sich diese Worte an Leah oder an ihren Mann richteten.
»Ich weiß, Mommy«, flüsterte Leah.
»Weißt du, wie sehr ich dich liebe?«, fragte Lauren.
Leah nickte.
»Geht es dir besser?«
Wieder nickte sie, den Blick gesenkt.
Lauren wusste, dass das eine Lüge war, mit der ihre Tochter sie beruhigen wollte, aber sie akzeptierte sie als Wahrheit wie schon so oft, weil sie eher bereit war, diesen kurzen Moment der Schuld auf sich zu nehmen, als herauszufinden, welche Katastrophe sich in ihrer zweiten Tochter zusammenzubrauen begann. Selbst wenn
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