Schattennetz
Kontakte auf kommunalpolitischer Ebene aufzufrischen. Deshalb war auch eine Delegation der französischen Partnerstadt Montceau-les-Mines angereist, allen voran Madame Valabreque, die sich seit Jahr und Tag um kulturelle Zusammenarbeit bemühte.
Schon bildete sich vor der Showbühne, wo das angezapfte Fässchen für Freibier sorgte, die übliche Schlange derer, die alljährlich bereits auf diesen Augenblick lauerten. Die Ehrengäste hingegen holten sich ihre Halbe Bier am Stand der Brauerei. Vor dem drohenden Gewitter, das einen tropischen Regenguss befürchten ließ, schienen alle Besucher so schnell wie möglich ein Getränk ergattern zu wollen. Es war schließlich nicht abzuschätzen, wie lange man noch trockenen Hauptes im Freien sitzen konnte.
Auch Konrad Faller hatte geduldig gewartet und Ursula Schanzel getroffen, eine der beiden Kirchengemeinderätinnen, die gestern ebenfalls zum ›Runden Tisch‹ gebeten worden waren. »Dann hoffen wir, dass wir heute nicht so frustriert heimgehen müssen«, begann er ein Gespräch und war jedes Mal aufs Neue vom jugendlichen Aussehen dieser Frau überrascht, von der er wusste, dass sie ihren 40. Geburtstag bereits gefeiert hatte.
»Heute gibts höchstens eine Überraschung von oben«, meinte sie und deutete zum Himmel.
»Man kann nie wissen, was uns der Himmel beschert«, meinte Faller, während er zwei Männern zuwinkte.
»Und trotzdem würd mich interessieren, warum der Alexander plötzlich kneift. Wenn es tatsächlich so ist wie behauptet wird, hat er doch am allerwenigsten zu befürchten.« Ursula Schanzel musste lauter sprechen, weil auf der Showbühne eine italienische Gruppe zu spielen begann.
»Ich hoff nur nicht, dass die Sache eskaliert, schon gar nicht jetzt beim Stadtfest.«
Sie hielt im zunehmenden Gedränge ihre Handtasche fester. »Was mich ein bisschen stutzig macht, ist Torstens Verhalten. Er tut so, als ob ihn dies alles nichts anginge.«
Die Schlange bewegte sich einen Schritt nach vorne. Faller rechnete sich in Gedanken aus, dass sie bei diesem Tempo erst in 20 Minuten ein Bier kriegen würden.
»So gehts mir auch«, stellte er fest. »Manchmal hab ich den Eindruck, als ob eine Zeitbombe ticken würde.«
Als die Dunkelheit hereinbrach, was gegen 21.30 Uhr der Fall war, zuckten Blitze. Wer jetzt noch kein trockenes Plätzchen unter einem Vordach oder einer im Winde flatternden Plane gefunden hatte, musste sich sputen. Dicke Regentropfen wurden durch die Fußgängerzone getrieben und verscheuchten auch die hartnäckigsten Gäste. Innerhalb weniger Minuten waren Tische und Bänke triefend nass. Die Musiker auf den verschiedenen Showbühnen, die gleichmäßig im Altstadtbereich verteilt waren, spielten unterdessen vor den leeren Plätzen weiter. Menschen drängten in die wenigen Kneipen oder suchten Schutz unter den Verkaufsständen. Dort, wo Organisator Detlef Stenzli als Koch fungierte und zusammen mit seinem Team diverse Köstlichkeiten vorbereitet hatte, war die schützende Plane weit genug auf den Gehweg hinausgezogen worden, um einem halben Dutzend Personen Platz zu bieten. Hier, wo auch die Freunde aus der französischen Partnerstadt Montceau-les-Mines Spezialitäten aus Burgund anboten, traf sich erfahrungsgemäß im Laufe des Abends alles, was Rang und Namen hatte. Kirchenmusikdirektor Tilmann Stumper, der nach zwei Vierteln französischen Weißweins, einem Bourgogne Chardonnay, seine gewohnt vornehme Zurückhaltung abgelegt hatte und sogar über einen deftigen Witz des wohlbeleibten Stadtrats und Leichenbestatters Peter Leichtle lachen konnte, spürte schon gar nicht mehr, dass ihm das Regenwasser von der Plane direkt in den Hemdkragen tropfte. Konrad Faller, der sich auch durch den Gewitterschauer noch bis zu diesem Stand vorgekämpft hatte, ließ sich von der netten französischen Dame, dank derer die Städtepartnerschaft seit Jahren am Leben erhalten wurde, einen Teller köstlichen Käses reichen. Aus den Töpfen von Koch Stenzli quoll weißer Wasserdampf, vermischt mit feinsten Gerüchen, die seine Gourmetkünste erahnen ließen. Und von schräg gegenüber beschallte eine Band dieses Altstadtquartier.
Faller hatte sich gerade mit zwei alten Bekannten unterhalten, was angesichts des Geräuschpegels nur durch gegenseitiges Zurufen möglich war, als er bemerkte, dass sich die Mesnerin ganz dicht an den Kirchenmusikdirektor herandrängte. Das musste die ältere Dame einige Überwindung gekostet haben, zumal sie sich ihm
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