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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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schilderte hingegen, dass er wohl der Erste gewesen sei, der gleich vom Balkon aus einen Schrei rausgelassen habe. Auch die übrigen Personen, die aus den Häusern von der gegenüberliegenden Hangseite gekommen waren, erzählten übereinstimmend, dass sie durch das Hupen aufgeschreckt worden seien. Schüsse jedoch hatte niemand gehört. Einig waren sich aber alle in der Einschätzung, dass Korfus in die Verbrechen um die Kirche verwickelt sein musste und ihm deswegen nach dem Leben getrachtet werde.
    Eine Frau mittleren Alters, die mit ihrem Mann bei den diskutierenden Anwohnern stand, kam schließlich auf Sander zu und deutete ihm an, ein paar Schritte zur Seite zu gehen. »Was mir aufgefallen ist«, sagte sie so leise, dass es die Umstehenden nicht hören konnten. »Alle reden nur von Herrn Korfus.« Die korpulente Dame, die einen halben Kopf kleiner war als Sander, begründete auch gleich, was ihr zu denken gab: »Frau Korfus aber hatte genauso viele Kontakte in den Osten«, flüsterte sie so leise, dass sie gerade noch die dröhnenden Stromaggregate übertönte. Sander machte noch ein paar weitere Schritte von den anderen weg, worauf die Frau ihm folgte, während ihr Mann auf Distanz blieb. »Sie meinen, sie ist auch in die Sache verwickelt?«
    »Schaun Sie doch mal in Ihrem Zeitungsarchiv nach. Sie haben schon mal über sie berichtet. 1989«, erklärte die Frau.
    »Ich?«
    »Sagt Ihnen der Name Liliane Lechner was?«
    Der Journalist versuchte, sich zu erinnern. Lechner. Natürlich. Dieses Mädchen, Dezember 1989. Tagelang hatte er über dessen Schicksal berichtet.
    »Frau Korfus ist Liliane Lechner?«, fragte er ungläubig nach.
    Die Informantin nickte.
    Der Journalist hatte sich für diesen Hinweis bedankt, war gegen 3 Uhr nach Hause gefahren, konnte aber kein Auge mehr zutun. Liliane Lechner. Vor seinem geistigen Auge lief die ganze Geschichte von damals ab. Sie hatte ihm unendlich leidgetan.
    Sander stand um 6 Uhr wieder auf und erklärte seiner Partnerin, was ihn beschäftigte. Er brühte einen Kaffee, trank ihn und aß appetitlos ein Marmeladebrötchen, während er die neueste Zeitung auseinander faltete und seinen Artikel las. Seine Lebensgefährtin verfolgte über die Küchentheke hinweg, dass er den heißen Kaffee viel zu hastig trank.
    20 Minuten später verließ er das Haus, fuhr durch den sommerhellen Morgen in die Redaktion und vergrub sich sofort im zweiten Untergeschoss in die alten Zeitungsbände. 1989 hatte es noch kein elektronisches Archiv gegeben. Damals waren alle Artikel ausgeschnitten und in langen Ordnerreihen abgelegt worden. Sander, der sich damit nie zurechtfand, machte sich deshalb gleich über die monatsweise gebundenen Zeitungsbände her, die im klimatisierten Keller in Metallregalen aufgereiht standen. Dezember 1989. Er hatte den schwarzen Band zielsicher gefunden, ihn aus dem Regal gezogen und auf den alten Holztisch gelegt, der in dem leuchtstoffröhrengrellen Raum das einzige Möbelstück war.
    Es musste um den 10. herum gewesen sein, entsann sich Sander. Er blätterte sich durch den Monat, befeuchtete immer mal wieder die Finger, blieb an dem einen oder anderen Artikel hängen, sah die Schlagzeilen dieser spannenden Wendezeit und las auf der Titelseite der Ausgabe vom 5. Dezember: »In DDR wächst die Angst vor Gewalt.« Dann aber konzentrierte er sich auf den Lokalteil des 29. Novembers. Und da fand er das Gesuchte: eine Reportage mit Bild. Überschrift: ›Am Grenzübergang verschwunden‹. Er blätterte weiter, bis er auch den letzten Artikel zu diesem Thema fand. Ein Bericht über vier Spalten hinweg – samt jenem Foto, an das er sich noch lebhaft erinnerte: Ein junges hübsches Mädchen saß am Tisch, die kurzberockten Beine kess übereinander geschlagen: Liliane Lechner. Tatsächlich. Das Gesicht – sie war es. Sie, die er damals mit dem Göppinger Fotograf in der elterlichen Wohnung aufgesucht hatte. Er spürte, wie sein Herz zu klopfen begann und sein Blutdruck stieg. Er hatte eine Entdeckung gemacht, die er unbedingt Häberle mitteilen musste.
     
    Konrad Faller saß wie vorgestern in seinem Sessel, Häberle auf der Couch. Der bärtige Unternehmer war nicht gerade erfreut gewesen, erneut von einem Kriminalisten gestört zu werden – und dies auch noch relativ früh morgens. »Seit vorgestern hat sich nichts verändert«, stellte Faller selbstbewusst fest.
    Häberle öffnete die Knöpfe seiner olivfarbenen Jacke und lachte freundlich. »Es wäre schlimm, wenn dem so

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