Schattennetz
Es könnte ja sein, dass diese Aufgabe, die Sie so zur Zufriedenheit erledigt haben, auch so ein Schatten aus der Vergangenheit ist, der Sie gerade eingeholt hat.«
Korfus schien Gift und Galle spucken zu wollen. »Danke, vielen Dank. Aber ich kann schon auf mich aufpassen. Auf mich und Liliane.« Er warf ihr einen Blick zu.
»Vergangene Nacht hats nicht so ausgesehen«, gab Häberle sachlich zu bedenken. »Soll ich Ihnen einen Personenschutz besorgen?«
»Personenschutz? Sie dürfen mir glauben, dass ich Vorsorge treffen werde, dass dies kein zweites Mal mehr vorkommt.«
»Sie sollten nur bei allem, was Sie tun, daran denken, dass es keine Selbstjustiz gibt«. Und er fügte beiläufig hinzu: »Und, dass Sie sich nicht als der Vollstrecker fühlen dürfen.«
Aus Lilianes Gesicht war die letzte Farbe verschwunden.
Häberle brannte noch eine Frage auf den Nägeln. Doch er entschied, sie nicht zu stellen. Nicht, wenn beide vor ihm saßen.
Häberle besah sich beim Verlassen des Hauses noch einmal die Bahnunterführung und den aufwärts führenden Brunnensteig. Vergangene Nacht hatte dies alles einen ziemlich finsteren Eindruck hinterlassen. Jetzt, als sich ein schöner Tag ankündigte, auch wenn die Sonne hier an dem Steilhang der Alb noch lange auf sich warten lassen würde, erschien die Gegend wie ein unwirkliches Idyll direkt am Rand der City.
Er ging zu seinem Audi, den er jenseits der Bahnlinie in der Zufahrt zur Fußgängerzone abgestellt hatte und rief Linkohr an. Er berichtete ihm kurz vom Inhalt des soeben geführten Gesprächs und bat ihn, Korfus in dessen Werkstatt abzupassen und sofort Bescheid zu geben, wenn dieser dort eingetroffen sein würde. »Aber nur, wenn er ohne seine Frau dort auftaucht«, erklärte Häberle. »Ich muss ihn mit einer Frage konfrontieren, die ich ihm in Gegenwart seiner schönen Liliane nicht stellen wollte.«
»Seine Kontakte zu Sabrina Simbach?«
»Exakt. Ich wollte ja nach dieser Schreckensnacht nicht auch noch ein Ehedrama auslösen. Rufen Sie mich also an, wenn er in seinem Betrieb eintrifft – oder falls er schon da ist, wenn Sie runterfahren, dann geben Sie mir auch gleich Bescheid. Aber achten Sie drauf, dass er Sie nicht sieht.«
»Alles klar. Und dann gehn wir beide rein?«
»Nein. Für Sie hab ich dann einen Spezialauftrag, der Sie freuen wird: Sie knöpfen sich zeitgleich seine Ehefrau vor. Ich will alles über sie wissen. Weshalb sie schon so frühzeitig Kontakte nach drüben hatte. Detailliert. Alles.«
»Okay. Und was haben Sie jetzt vor?«
Häberle sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Kurz nach neun. »Faller«, sagte er. »So einfach lass ich mich von dem nicht abspeisen.«
Georg Sander hatte noch in der Nacht von den Schüssen erfahren. Der Polizeihubschrauber war nicht nur über die obere Stadt gekreist, sondern auch minutenlang in knapp 30 Metern Höhe über dem Brunnensteig gestanden, um mit starken Scheinwerfern das gesamte Gelände von oben zu erhellen. Erst als das Technische Hilfswerk mit einem Lichtmast aufgetaucht war, hatte die Hubschrauberbesatzung die Suche aus der Luft fortgesetzt. Dieses nächtliche Spektakel war der Grund dafür, dass auch Sander verständigt wurde. Er pflegte dieses jenseits der Bahnlinie gelegene kleine Siedlungsgebiet als ›Eulengreuth‹ zu bezeichnen, womit der Schwabe eine Gegend meint, in der sich für gewöhnlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Sander hatte mit der Digitalkamera einige Fotos geschossen und sich mit Häberle unterhalten, der ihm kurz und prägnant berichtete, was geschehen war. Anschließend sprach der Lokaljournalist unter einer Straßenlampe bei dem Kastanienbaum mit einigen Bewohnern des Brunnensteigs und erfuhr, dass Korfus offenbar nach den Schüssen hupend ganz nach oben gerast sei, um auf sich aufmerksam zu machen. Erfreut stellte Sander fest, dass die Anwohner äußerst gesprächsbereit und aufgeschlossen waren. Nicht immer war dies bei solchen Anlässen der Fall. Doch er war lange genug Lokaljournalist, um zu wissen, dass Einzelpersonen meist Hemmungen hatten, ihm das Erlebte und Gesehene zu schildern. Sobald jedoch mehrere Augen- oder Ohrenzeugen beieinander standen, versuchten sie sich mit ihren Schilderungen meist gegenseitig zu übertrumpfen.
So hatte der Mann mit dem Dackel berichtet, wie er durch das wilde Hupen aufgewacht und sofort und ohne zu zögern zum Tor seiner Villenzufahrt hinabgerannt sei. Der Bewohner des unteren Gebäudes, offensichtlich sein Schwager,
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