Schattennetz
gekünstelt. »Wie Sie richtigerweise bemerkt haben, sind wir … also …« – Simbach suchte nach einer Formulierung – »ja, wir Ehemaligen sozusagen nicht überall gern gesehen. Es wäre auch ungeschickt und undiplomatisch, wenn wir uns in einem Restaurant treffen würden.« Simbach schien auf Häberles Verständnis zu hoffen. »Ich bin schließlich Geschäftsmann, wie Sie sicher wissen. Security-Service. Sicherheitsdienst. Deshalb haben wir uns so etwas wie einen kleinen Vereinsraum eingerichtet – obwohl wir natürlich kein Verein sind.«
»Wir?«, staunte Häberle.
»Wir hier in Bischofswerda und Umgebung. Ich sagte Ihnen doch, wir sind eine Minderheit. Eine kleine Minderheit, die von der übrigen Bevölkerung nicht akzeptiert würde, wenn publik würde, dass wir unsere Ideale, für die wir mal gekämpft haben, nicht einfach vergessen wollen.«
»Eine Art Reservistenkameradschaft?« Häberle musste sich eingestehen, dass ihm kein besserer Vergleich einfiel.
»Alte Kameraden eben«, erwiderte Simbach sichtlich erleichtert. »Wir tun niemandem etwas. Aber manchmal braucht man den Kreis ehemaliger Kameraden eben, um … ja, um die Zeit von damals zu verarbeiten. Wir waren schließlich noch jung und hatten bis dahin nichts anderes gesehen.«
Häberle überlegte, wie ehrlich das Gesagte gemeint war. Sollte unter dem Deckmantel der eigenen Vergangenheitsbewältigung doch etwas anderes versteckt werden?
»Und wo ist dieses Vereinsheim?«, wollte er wissen.
»Draußen in der Belmsdorfer Straße. Ein altes Fa-brikgebäude, die ehemalige Glashütte. Hat uns Rolf zur Verfügung gestellt.«
»Wie komm ich da hin?«
Simbach schilderte die Fahrtstrecke und fügte an: »Nur knapp einen Kilometer vom Zentrum weg – unter der Eisenbahnbrücke durch. Haben Sie schon eine Unterkunft?«
Der Kriminalist nickte. »Meine Kollegen haben mir übers Rathaus was besorgt. Im ›Engel‹, danke.«
Häberle wollte das Gespräch nicht fortsetzen. Er war müde – und er wollte noch eine Stunde schlafen. Außerdem musste er einige Telefonate führen.
Simbach schien von der Kürze des Gesprächs überrascht zu sein. »Soll ich für heut Abend noch etwas vorbereiten?«, fragte er verunsichert, obwohl er insgeheim froh war, nicht länger allein Rede und Antwort stehen zu müssen.
»Danke, nein. Alles andere wird sich ergeben«, entgegnete Häberle und lächelte vielsagend. »Nur eine einzige Frage noch.« Wie immer hob er sich bis zuletzt jenes Thema auf, das seinen Gesprächspartner stets nachdenklich stimmte. Im jetzigen Fall war es die Frage nach Sergije.
»Sergije, ja …«, erwiderte Simbach verlegen und stand ebenfalls auf. »Ein armer Junge. Hochintelligent, aber hier chancenlos, einen Job zu finden. Ich hab ihn an Alexander vermittelt.«
»Aber wo er jetzt ist, wissen Sie nicht?«
»Ich? Woher soll ich denn das wissen? Sie kommen doch gerade aus Geislingen.«
Häberle wollte nichts weiter dazu sagen. Die wichtigsten Themen wollte er erst ansprechen, wenn auch die anderen dabei waren.
Linkohr hatte inzwischen von seinem Chef erfahren, dass er bereits mit Anton Simbach zusammengetroffen war. Alles deutete auf eine Zuspitzung der Lage hin. In Geislingen, wo sich in der Sonderkommission vorübergehend der altgediente Kriminalist Herbert Fludium zum Sprecher gemacht hatte, waren sich die Kollegen einig, den freitäglichen Feierabend zu verschieben. Dass es wieder kein freies Wochenende geben würde, war ihnen allen klar. Denn jetzt schienen sie dicht an der Aufklärung des Falles zu sein. »Hat er denn die Kollegen dort verständigt?«, fragte Fludium in Richtung Linkohr, der im Kreise anderer Kriminalisten stand und diskutierte.
»Er ist mit ihnen in Kontakt.«
Fludium stand auf. »Haben wir irgendwelche Erkenntnisse, wo dieser Deutschrusse ist, dieser …«
»Sergije«, ergänzte Linkohr und gab sogleich die Antwort: »Nein. Frau Simbach hat keine Ahnung.
»Und ihr reizendes Töchterlein?«
»Offenbar auch nicht«, antwortete ein anderer Kollege.
Fludium, der bekannt dafür war, die Protokolle genau zu studieren, verschränkte die Arme und wandte sich direkt an Linkohr: »Mike, du warst gestern bei dieser Kirchengemeinderätin, die dich rausgeschmissen hat. Schanzel, heißt sie. Singt übrigens im Kirchenchor, hab ich mir sagen lassen.« Er lächelte. »Deren Tochter hat doch einiges ausgeplaudert, wie wir vom Organisten wissen. Außerdem hatte Frau Schanzel Kontakt zu Frau Simbach, hat dies aber gegenüber
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