Schattennetz
»das vermag ich noch nicht zu sagen. Aber zumindest könnten Sie mir ein bisschen etwas über Ihren verstorbenen Bruder erzählen …«
»Den umgebrachten Bruder, Herr Kommissar. Es war doch Mord? Oder seh ich das falsch?«
»Ihr Herr Bruder ist bedauerlicherweise eines unnatürlichen Todes gestorben«, formulierte es Häberle vorsichtig. »Und wie Sie wissen, nicht nur er, sondern auch ein Herr Czarnitz, den Sie vermutlich auch kennen.«
»Ja, natürlich. Wir alle, die wir ihn kennen, sind bestürzt. Er war ein erfolgreicher Immobilienhändler.«
»Auch hier in Bischofswerda?«
»Ja, er hat ein paar alte Sachen wieder aktivieren können.«
»Und aktuelle?«
»So eine alte Fabrikhalle hat er vor einigen Wochen wohl übernommen. Ich hab aber keine Ahnung, was er damit wollte.«
»Herr Czarnitz war hier beliebt?«, hakte Häberle nach.
»Beliebt ist ein dehnbarer Begriff. Es gibt hier immer noch genügend Menschen, die der Meinung sind, alles, was wir früher gemacht haben, sei Scheiße gewesen.«
»Und Herr Czarnitz hat so etwas früher gemacht?« Häberle wusste, dass er vorsichtig sein musste, um sein Gegenüber bei Laune zu halten.
»Er hat zu DDR-Zeiten einen Orden gekriegt«, entgegnete Simbach. »Er hat dem Staat gedient, wie Sie dies auch tun. Es war unser Staat, verstehen Sie? Nein, das können Sie als Wessi nicht verstehen. Rolf, also Herr Czarnitz, hat sich rechtmäßig verhalten, weil er verhindert hat, dass immer noch mehr Bürger dem imperialistischen Klassenfeind in die Hände gelaufen sind.«
Häberle wagte jetzt eine klare Feststellung: »Er hat Fluchthelfer verraten.«
Simbachs Miene verfinsterte sich. »Das sind die typischen Formulierungen aus dem Westen.«
»Sie haben sich nie an die geänderten Verhältnisse gewöhnen können.«
Simbach ballte die Hände zu Fäusten. »Jedes System hat seine Schwächen. Aber es war einfach nicht in Ordnung, alles aufzugeben. Wir werden noch zwei Generationen lang die belächelten Ossis sein.«
Häberle wollte sich auf keine Diskussion einlassen. Wollte nicht sagen, dass es schließlich 15 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Frau aus Ossiland in den Chefsessel des Bundeskanzleramts geschafft hatte. Dass sehr viele Ministerposten von Ossis besetzt waren.
»Als sich Ihr Bruder Alexander und sein Ex-Schulfreund Torsten Korfus in der Partnerstadt Geislingen wieder trafen, war die Wiedersehensfreude nicht sehr groß«, dozierte Häberle und trank das Glas leer.
Simbach zuckte zusammen. »Mir ist völlig schleierhaft, warum Sie Korfus noch nicht festgenommen haben. Es liegt doch auf der Hand, dass er meinen Bruder aus der Welt schaffen wollte – mit einem perfiden Trick. Torsten hat an der Glockentechnik manipuliert – und brauchte nur darauf zu warten, dass Alexander zum richtigen Zeitpunkt dort oben am Gestänge steht.«
»Wenn das so einfach wär, Herr Simbach. Erstens war nicht Ihr Bruder für die Glocken zuständig, sondern Herr Korfus, und zum anderen hätte der nie damit rechnen können, dass Ihr Bruder ausgerechnet dann im Glockenstuhl sein würde, wenn das Läutewerk eingeschaltet wurde.«
»Kriminalfälle lassen immer Raum für Spekulationen«, meinte Simbach kühl, »das brauch ich Ihnen doch nicht zu sagen.«
»Ihr Herr Bruder«, fuhr Häberle fort, ohne seinen Gesprächspartner aus den Augen zu verlieren, »der hat in den Tagen vor seinem Tod noch Kabel gekauft. Ausgerechnet dasselbe, das bei den Manipulationen an der Elektrik verwendet wurde, wie wir festgestellt haben. NYM heißt es. Ich geb allerdings zu, dass es ein ziemlich geläufiges ist. Dreiadrig, übliche Haushaltsstärke.«
»Und was wollen Sie damit andeuten?«
»Dass vielleicht alles ganz anders war, als wir meinen.«
Simbach kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Dass sich mein Bruder selbst eine Art elektrischen Stuhl gebastelt hat. Stimmts? Das wollen Sie doch sagen? Einen elektrischen Glockenstuhl sozusagen. Herr Kommissar, ich bitt Sie. Das sind absolut absurde Spekulationen.«
»Vielleicht können wir dies im Gespräch mit den Herren Kissling und Oehme erörtern«, lenkte der Chefermittler ein. Dass er sie alle treffen wollte, hatte er am Telefon angekündigt.
»21 Uhr«, antwortete Simbach knapp. »Um 21 Uhr sind sie hier. Früher hats nicht geklappt. Oehme kommt immerhin aus Berlin runter.«
Häberle nickte. »Und wo?«
»Nicht hier«, sagte Simbach und trank nun auch. »Meine Frau und meine Kinder brauchen das nicht zu wissen.« Er lächelte
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