Schattennetz
ist. Offenbar versuchen sie, sich gegenseitig mundtot zu machen – möglicherweise unterstützt von diesem Anton, der bei allem eine dubiose Rolle zu spielen scheint. Ich kenn ihn nur vom Hörensagen. Aber demnach muss er ein ziemlich gnadenloser Mensch sein, der genauso wenig aus der Vergangenheit gelernt hat wie die Rechtsradikalen.« Frau Schanzel schloss für einen Moment die Augen und nickte schwer. »Mir tut nur die alte Frau Gunzenhauser leid, die vermutlich in all das zufällig reingeraten ist und unschuldig sterben musste.«
Fludium ließ ein paar Augenblicke verstreichen, um dann dazwischen zu fragen: »Und Czarnitz? Welche Rolle hat der Ihrer Ansicht nach gespielt?«
»Wenn Sie mich fragen – er ist eine Marionette gewesen. Geschäftemacher im Osten, von wo er auch kam. Fragen sie mich nicht, welche Geschäfte. Jedenfalls nicht nur Immobilien. Ich hab beide gelegentlich bei irgendwelchen Unternehmerveranstaltungen getroffen. Auch seine Frau hat dabei auf mich einen etwas, ja, sagen wirs ruhig, einen etwas merkwürdigen Eindruck gemacht. Keiner von beiden hat über die Arbeit gesprochen, obwohl man doch im Kreise von Kollegen gern auch mal angibt.« Ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Bei Czarnitz hat man nie etwas erfahren. Ich hatte immer den Eindruck, sie wollten etwas verschweigen.«
Fludium sah die Gelegenheit für eine Nachfrage gekommen: »Aus dem ganzen Geflecht sind nun zwei Personen verschwunden.« Er sah zu Liliane, die noch immer in ein Papiertaschentuch schluchzte. »Ihr Mann Torsten.« Dann wandte Fludium den Kopf zu Sabrina: »Und Ihr Mitarbeiter.«
Während die beiden angesprochenen Frauen nicht in der Lage waren, darauf zu antworten, ergriff erneut die Kirchengemeinderätin das Wort: »Herr Korfus hat es gestern Abend vorgezogen, mit unbekanntem Ziel zu verschwinden. So ist es. Und zwar nicht mit dem Auto. Zumindest nicht mit seinem eigenen. Behauptet hat er, er wolle heimfahren, also nach Bischofswerda. Und Sabrinas Mitarbeiter Sergije ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Das ist Fakt. Mehr können wir nicht dazu sagen.«
»Glauben Sie, dass beide miteinander verschwunden sind?«, fragte Fludium vorsichtig.
»Denkbar ist alles«, meinte Ursula Schanzel und sah mit ihren großen dunklen Augen die Kriminalisten ratlos an. Eine starke Frau, dachte Fludium und spürte, dass sie noch etwas sagen wollte. Er ließ ihr ein paar Sekunden Zeit und versuchte, sie mit einem Blick zu ermuntern. Sie schien dies verstanden zu haben. »Noch etwas, meine Herrn«, begann sie, worauf auch die anderen Frauen hellhörig wurden. »Haben Sie schon mal was von Holzapfel gehört?«
Als das Handy piepste, war es Häberle, als treffe ihn ein Donnerschlag. Er hatte geschwitzt und fühlte sich wie gerädert. Dabei stand ihm der wichtigste Teil des Tages erst bevor. Während er in die Dusche ging und dort das heiße Wasser genoss, ließ er noch einmal die Ereignisse der vergangenen Tage Revue passieren. Am meisten beschäftigte ihn, weshalb Sergije und Korfus so plötzlich verschwunden waren. Dafür musste es einen Grund geben. Häberle hatte sich zwar schon auf der Autobahn eine Theorie zurechtgelegt, doch wollte sie ihm bislang nicht logisch erscheinen.
Frisch geduscht fühlte er sich schon besser. Er zog Jeans und Jeanshemd an, ging ins Restaurant hinab und bestellte ein »Bulgarisches Schnitzel mit Kartoffeln und Mischgemüse«. Gegen 20.45 Uhr – die Häuser am Altmarkt warfen bereits lange Schatten – verließ er das Hotel und ging zu seinem Dienstwagen. Dort schaltete er das handliche Navigationsgerät ein und rief die bereits programmierte Belmsdorfer Straße auf. Dann startete er den Motor und bekam sogleich zu hören: ›Bitte wenden Sie jetzt‹. Die Fahrstrecke wurde mit 800 Metern angegeben. Für einen Moment überlegte er, ob er zu Fuß gehen sollte, doch dann schien es ihm ratsam, ein Auto dabei zu haben. Der Ermittler folgte den skizzierten und akustischen Anweisungen, fuhr in südliche Richtung und staunte, dass trotz des Freitagabends nur schwacher Verkehr herrschte. Schon nach knapp drei Minuten erreichte er das von Simbach geschilderte Gewerbegebiet. Neben einem Textilbetrieb stach das alte und desolate Areal einer Fabrik ins Auge. Schlanke, gemauerte Schornsteine ragten in den Himmel, verrostete Rohrleitungen überspannten in luftiger Höhe einen Innenhof und folgten den Gebäudefassaden. In den oberen Geschossen waren die meisten Fensterscheiben zerschlagen, aus der
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