Schattennetz
Simbach seinen Besucher auf, drehte sich wieder um und schritt durch den Gang bis zur letzten, links abzweigenden Tür, die in ein Treppenhaus führte, in dem das Geländer windschief und verrostet wirkte. Häberle konnte dies trotz des geringen Lichts erkennen, das weiter oben durch ein kleines Fenster hereinfiel. »Unser Reich ist unten«, erklärte Simbach knapp und stieg durchs Treppenhaus abwärts. Häberle prägte sich die Örtlichkeiten ein und spürte, wie ihn ein ungutes Gefühl beschlich. Dort unten, das wurde ihm schlagartig bewusst, würde sein Handy keinen Empfang haben.
Simbach ging voraus ins Untergeschoss, wo auf einem provisorisch montierten Wandregal eine alte gläserne Handlaterne stand, in der eine große Kerze flackerte. »Wir haben leider keinen Stromanschluss«, erklärte Simbach und durchquerte einen großen leeren Raum, den das Streulicht der Lampe äußerst spärlich erhellte. Schräg gegenüber erkannte Häberle die beleuchteten Umrisse einer Tür, die einen Spalt weit offen war. Dort drangen auch Männerstimmen heraus.
Simbach öffnete, womit Häberles Augen sofort vom Kerzenlicht vieler Handlaternen geblendet wurden. Vier standen auf Regalen an der gegenüberliegenden Wand, einige weitere zwischen Getränkeflaschen und Gläsern auf einem dünnen Holztisch, an dessen rechter Seite drei Männer saßen. Hinter den Lehnen ihrer alten Holzstühle war noch zwei Meter Platz bis zu einem wuchtigen Aktenschrank, der nur aus verschließbaren Klappen und Türchen bestand.
»Darf ich vorstellen – das ist der Kommissar aus dem Westen«, tönte Simbach und deutete der Reihe nach auf die Männer, die jetzt aufgestanden waren: »Hier Herr Carsten Kissling, wie gewünscht zur Stelle …« Häberle schüttelte seine kräftige Hand und blickte in ein energisches Gesicht. »Das hier Herr Achim Oehme, weit gereist, heute Abend erst aus Berlin gekommen.« Auch bei ihm spürte der Ermittler einen festen Händedruck. »Und der hier, das ist Stefan Landowski.« Er machte auf Häberle einen schmächtigen Eindruck, obwohl er groß war. »Sie werden ihn nicht kennen. Er war die rechte Hand von Rolf Czarnitz und verwaltet jetzt die Immobilien hier. Und sucht insbesondere einen Nutzer für dieses Gelände«, erklärte Simbach und zog einen Stuhl zu sich her. Dem Kommissar schlug er vor, gegenüber der Tür, an der hinteren Oberkante des Tisches, Platz zu nehmen.
»Etwas zu trinken?«, fragte er den Kommissar, doch Häberle verneinte. Eigentlich hatte er es nicht vor, den halben Abend in diesem Kellerloch zu verbringen. Unweigerlich kam ihm seine eigene, häufig getroffene Feststellung in den Sinn, dass sich Ratten eben in ihre Löcher zurückziehen. Und dass derartige Industrie-brachen dieses Getier in all seinen Schattierungen anzogen.
»Wir mussten leider den ungewöhnlichen Ort wählen, um nicht ständig die Gerüchte anzuheizen, wir wollten die alte DDR wieder aufbauen«, erklärte Simbach. »Um gleich gar kein Missverständnis aufkommen zu lassen, Herr Kommissar: Wir wollen nichts weiter, als in Ruhe gelassen zu werden. Wir planen keinen Umsturz und keinen Putsch.« Das flackernde Kerzenlicht ließ ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. »Auch wenn wir bei Weitem nicht alles gutheißen, was die in Berlin anzetteln – sogar mit Ministern und einer Kanzlerin aus dem Osten. Wir wollen hauptsächlich die Kameradschaft pflegen und versuchen …«, er zögerte und sah in die Gesichter seiner drei Freunde, »und versuchen, die Vergangenheit auf unsere Art und Weise zu bewältigen.«
Erst jetzt fiel Häberle ein Plakat der Nationalen Volksarmee auf, mit dem wohl die Vorzüge des Militärdienstes hervorgehoben werden sollten.
Häberle lehnte sich auf dem Holzstuhl zurück, der unter seinem Gewicht gefährlich zu knarzen begann. »Es freut mich, dass Sie alle meiner Bitte zu einem Gespräch gefolgt sind«, begann er. »Zwar hätt ich mir einen gemütlicheren Ort vorgestellt, aber schließlich kommts ja auf den Inhalt der Konversation an.« Die vier anderen nickten. Kissling und Oehme, so schätzte Häberle, dürften seiner Jahrgangsklasse angehören, während dieser schlaksige Stefan Landowski eher so alt war wie Simbach.
»Wie Sie Ihre Vergangenheit aufarbeiten, interessiert mich nur am Rande«, griff Häberle die Worte Simbachs auf. »Wie Sie wissen, geht es mir um zwei beziehungsweise drei Tötungsdelikte, im Rahmen deren Ermittlungen auch Ihre Namen aufgetaucht sind.« Er wählte bewusst diese vage
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