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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Moment still und Sabrina befürchtete einen von Antons berüchtigten Tobsuchtsanfällen. Doch er schien sich ausnahmsweise zu beherrschen.
    »Wir kommen zur Beerdigung«, wechselte er das Thema. »Außerdem werd ich die weiteren Verwandten und Bekannten informieren.« Sein sächsischer Dialekt war nicht zu überhören, doch seine Stimme klang sachlich. Nach kurzer Pause schob er noch eine ebenso emotionslose Bemerkung nach: »Ich denk, da werden auch einige aus Hohenschönhausen kommen.« Obwohl Sabrina mit diesem Hinweis nichts anfangen konnte, verzichtete sie auf eine Nachfrage. Die Erinnerung an dieses gestern geführte Gespräch hielt sie für einen Augenblick gefangen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig sich Anton vom Tod seines Bruders erschüttert gezeigt hatte. Silke beobachtete ihre Mutter, zögerte einen Augenblick und wagte dann die Frage, mit wie viel Trauergästen zu rechnen sei, weil sie doch für den Leichenschmaus ein geeignetes Lokal suchen müssten.
    »Ich hab keine Ahnung«, entgegnete die Mutter, die den Schnellhefter mit Alexanders wichtigsten Dokumenten durchblätterte. Sie musste Anton noch mal anrufen. Der meldete sich auch sofort, erkundigte sich pflichtgemäß nach ihrem Befinden und wie sie den zweiten Abend überstanden habe. Sabrina antwortete nur knapp. Auf die Frage, wie groß die Verwandtschaft sein werde, mit der bei der Beerdigung zu rechnen sei, meinte er: »Nu, ich kann dir das nicht genau sagen. Aber meine Frau und ich auf jeden Fall, meine beiden Kinder natürlich und dann vielleicht unsere alte Tante mit Tochter aus Meißen.«
    »Du hast aber gestern noch von irgendwelchen Bekannten gesprochen«, half ihm Sabrina vorsichtig auf die Sprünge.
    Anton überlegte. »Ach ja, richtig. Die Jungs aus Hohenschönhausen. Viere oder Fünfe. Denen sag ich heute noch Bescheid. Da kannste davon ausgehn, dass sie auch kommen.«
    »Jungs aus Hohenschönhausen? Verwandtschaft?«
    »Nee, Bekannte.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Aus DDR-Zeiten. Ich weiß nicht – hat er dir davon erzählt?«
    Sabrina versuchte, sich an entsprechende Äußerungen Alexanders zu entsinnen. »Ich glaub nicht, nein.«
    Sie wollte gerade noch etwas sagen, doch Anton kam ihr zuvor: »Ist auch besser so. Alte Geschichten, weißt du. Euch Wessis ist manches von hier noch immer fremd. Deshalb sollten wir nicht drüber reden. Jetzt schon gar nicht mehr. Jetzt, wo Alexander tot ist.«
     
    Am Montag nach dem Stadtfestwochenende fand das traditionelle Kinderfest statt. In aller Frühe zogen Fanfarenbläser durch die Straßen. Vor einigen Jahrzehnten noch hatten die Betriebe geschlossen, und wer auswärts arbeitete, nahm Urlaub. Doch im Zuge der Globalisierung wollten die neuen Manager von solchen Heimatfesten nichts mehr wissen. Zunehmend bröckelte die Feiertagsstimmung ab, sodass jetzt nur noch Urlaub nahm, wer Kinder hatte, die am großen vormittäglichen Umzug teilnahmen. An dessen Gestaltung jedoch, so wurde oftmals beklagt, sahen viele Lehrer auch nur eine lästige Pflichtübung. Ganz zu schweigen davon, dass die höheren Jahrgangsstufen der Gymnasien und der Berufsschulen wenig Begeisterung zeigten, sich in den Umzug einzureihen. Auch Silke nicht. Ihre Klasse hatte das Thema ›Saturday-Night-Fever‹ gewählt, weshalb sie nach Meinung ihrer Mitschüler als ›Diskomaus‹ im kurzen Kleidchen hätte mitmarschieren sollen. Zwar hätte sie keine Hemmungen gehabt, dies zu tun – doch nun hatte sie zusammen mit ihrer Mutter entschieden, nicht teilzunehmen. Eine Freundin würde dies dem Lehrer ausrichten.
    Sabrina und Silke verbrachten den Tag im Geschäft, um die zurückgebrachten Gegenstände zu reinigen und wieder einzulagern. Zwischendurch rief Bestattungsunternehmer Leichtle junior an, um noch einige Modalitäten für die morgige Beerdigung zu regeln. Für den frühen Nachmittag hatte sich Stadtpfarrer Kustermann angesagt, der die Grabrede vorbereiten musste. Sabrina würde es schwer fallen, ihm einige positive Dinge über Alexander zu nennen. Sie spürte, wie sie bereits innerlich mit ihrem verstorbenen Mann abgeschlossen hatte. Es war – und dieser Gedanke erschreckte sie – als sei eine schwere Last von ihr gefallen. Bei einem anderen Anruf nahm sie das Mobilteil und zog sich in ihr Büro zurück. Silke wunderte sich schon lange nicht mehr über heimliche Telefonate ihrer Mutter. Bisher hatten sie aber nie konkret darüber gesprochen. Das Mädchen sah darin eine stillschweigende Duldung auch ihrer

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