Schattennetz
Unternehmerkollegen nicht nur an den schnellen Euro dächten, an Gewinnmaximierung und das Einsparen von Personalkosten, wenn sie wie Klinsmann ihre Mannschaft motivieren könnten, anstatt Unfrieden zu stiften und das Betriebsklima zu vergiften, ginge es in Deutschland längst bergauf. Natürlich ist es nicht damit getan, vom Chefsessel aus gemeinsames Zupacken zu propagieren – nein.« Faller schien Ansprachen dieser Art schon häufiger gehalten zu haben. »Nein«, wurde er jetzt energischer. »Das muss vom Manager bis zur Putzfrau geschehen. Alle müssen ein einziges Ziel verfolgen.« Er senkte seine Stimme wieder. »Auf dem Spielfeld heißt das gemeinsame Ziel, Tore zu schießen – und hier bei uns, im Betrieb: Qualität und Service.«
Häberle wollte dem nichts hinzufügen, sondern zeigte sich interessiert: »Und bei Ihnen läufts so?«
»Ich kann nicht klagen. Meine Mannschaft hält zusammen – und ich werd auch nicht auslagern, nur, um mir EU-Subventionen zu erschleichen und auf Kosten der Steuerzahler hier Arbeitsplätze abzubauen. Aber das ist ein anderes Kapitel.«
So gern sich Häberle noch länger mit dem Unternehmer über Themen dieser Art unterhalten hätte, so wichtig waren ihm aber auch seine Fragen. Jetzt schien ihm die Gelegenheit günstig zu sein, sie anzubringen. »Die Abwanderung in den Osten macht uns überall zu schaffen. Auch Herr Simbach ist dort hergekommen …?«
»Bischofswerda, ja«, bestätigte Faller. »Dass wir in den neuen Bundesländern Aufbauhilfe leisten mussten, ist natürlich klar. Die Frage stellt sich mir aber – wie lange noch? Muss um jedes unbedeutende Nest dort eine Umgehungsstraße gebaut werden, während man uns hier in Geislingen mit unserer B 10 seit 50 Jahren hängen lässt? Mit fadenscheinigen Argumenten und immer neuen unglaubwürdigen Politikerversprechungen. Ist Ihnen, meine Herren, eigentlich bewusst, wie lange wir allesamt schon den sogenannten Solidaritätszuschlag bezahlen? Glauben Sie im Ernst, dass der jemals abgeschafft wird?«
»Nein«, entgegnete Häberle schnell.
»Eben. Den bezahlen noch Generationen nach uns, die nicht mal mehr wissen, was die DDR war.«
Häberle wünschte sich insgeheim, mit Faller mal einen Abend lang bei einem Viertele oder einem Weizenbier zusammenzusitzen und zu diskutieren. »Herr Simbach«, so versuchte er erneut überzuleiten, obwohl auch Linkohr äußerst aufmerksam zugehört hatte. »ist mit den neuen politischen Verhältnissen offenbar nie zurechtgekommen?«
»So kann man dies sicher nicht sagen. Es scheint nur Differenzen gegeben zu haben mit Torsten Korfus. Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben.«
»Doch, doch. Es soll eine Prügelei gegeben haben.«
»Prügelei«, wiederholte Faller abwertend. »Ob man das so sagen kann, weiß ich nicht. Da soll vor einigen Wochen nach einer Veranstaltung im Martin-Luther-Haus etwas eskaliert sein. Wir im Kirchengemeinderat haben versucht, dies ohne großes Aufsehen zu klären. Na ja – dazu ist es nun nicht mehr gekommen.«
»Haben denn Sie sich mal erkundigt, was der Grund für diese Differenzen war?«
Faller zögerte einen Moment. »Sie dürfen mir gerne glauben, dass ich versucht habe, mir ein Bild davon zu machen. Seit sich die beiden öffentlich in die Haare gekriegt haben, gibt es die wildesten Gerüchte. Aber da sag ich Ihnen sicher nichts Neues.« Er lehnte sich zurück. »Deshalb bin ich der Meinung, dass Sie in Ihre Nachforschungen auch die Vergangenheit der beiden mit einbeziehen sollten.«
Linkohr blickte interessiert auf, Häberle schwieg.
»Mit Vergangenheit mein ich die DDR-Zeit«, stellte Faller klar. »Mein Eindruck ist der, dass die beiden noch immer im Schlagschatten stehen, den ihre eigene Vergangenheit auf sie wirft.«
Häberle ließ ein paar Sekunden verstreichen, während deren sich die drei Männer lauernd anblickten. »Sie können uns sicher Näheres darüber berichten«, ermunterte er schließlich Faller zu weiteren Angaben. Der jedoch schluckte hart. »Leider nein«, sagte er schließlich entschlossen. »Aber ich denke, dass Sie kraft Ihres Amtes diese Schatten der Vergangenheit beleuchten können.«
»Ich geh mal davon aus«, erklärte der Chefermittler leicht verstimmt. »Aber vielleicht können Sie uns in einem anderen Punkt helfen. Es gibt da nämlich noch ein paar Fragen.« Häberle legte wieder eine seiner Kunstpausen ein.
»Und die wäre?«
»Es fehlen Kirchenschlüssel. Und zwar zwei. Die Mesnerin hat Ihnen wohl in der
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