Schattennetz
sein. Weißt du, was das bedeutet?«, presste Kissling nach einigen Sekunden hervor. Aus seinem Gesicht war jeglicher Optimismus entwichen.
»Ich befürchte, da gehts nicht nur um verschmähte Liebe«, stellte Simbach fest.
»Wieso denn gerade Rolf?«
Simbach schwieg und starrte in sein Weinglas. Irgendwie war ihm der Appetit vergangen.
»Wieso gerade er?«, wiederholte Kissling.
Simbach holte tief Luft, blickte auf die anderen Gäste, die jedoch weit genug weg waren und nichts hören konnten.
»Ich bin dran schuld«, flüsterte er dann und beugte sich über den Tisch. »Ich.«
Nachdem sie die Getränkehandlung Simbach verlassen hatten, blies den beiden Kriminalisten ein ungewöhnlich rauer Wind entgegen. Das schöne Sommerwetter schien bereits vorbei zu sein. Häberle musste unweigerlich an seinen Urlaub denken, den er mit Ehefrau Susanne wieder im Wohnmobil am Luganer See verbringen wollte – oder vielleicht doch eher am Lago Maggiore, wo ihm im italienischen Landstrich die Restaurants günstigere Preise boten. Für Anfang September hatte er Urlaub geplant – und er hoffte inständig, dass dieser Fall bis dahin geklärt sein würde.
Er wollte keine Zeit verlieren. Außerdem, das wusste er aus Erfahrung, sank mit jedem Tag, der seit einem Verbrechen vergangen war, die Chance, den Täter zu fassen. Und das Erinnerungsvermögen von Zeugen und Betroffenen wurde auch nicht besser.
Deshalb entschied Häberle, sofort auch noch diesen Konrad Faller aufzusuchen, der beim Auffinden von Simbachs Leiche dabei gewesen war – und der gegen-über der Dekanin seltsame Andeutungen gemacht haben soll.
Linkohr fingerte aus dem Handschuhfach des Audis ein örtliches Telefonbuch, um nach Fallers Adresse zu suchen. »Faller Metallbau, hab ich«, sagte er, während Häberle den Wagen aus dem Gewerbegebiet Talgraben hinaussteuerte. »Draußen in den Neuwiesen«, fügte der junge Kriminalist hinzu. Sein Chef nickte und wusste, um welches Industriegebiet es sich handelte.
»Die Simbach war richtig erbost, weil Sie sie nach ihrem Liebesleben gefragt haben«, stellte Linkohr fest.
»Hat mich auch gewundert. Als ob wir sie da irgendwie an einem wunden Punkt getroffen hätten.«
»Liebhaber, zerrüttete Ehe – und dann den Ehemann beseitigt«, grinste Linkohr, obwohl er diese Bemerkung keinesfalls nur als witzig verstanden wissen wollte.
»Das hat nur einen Schönheitsfehler: Es gibt noch einen zweiten Toten. Von der Frau Gunzenhauser mal ganz abgesehen, die möglicherweise durch einen dummen Zufall in die Sache reingeraten ist. Zur falschen Zeit am falschen Ort sozusagen.«
»Ich weiß. Die Sache wär zu einfach, wenns nur eine Herz-Schmerz-Geschichte mit Todesfolge wäre.«
»Andererseits«, meinte Häberle ernst, »sind viele Fälle viel einfacher, als wir denken. Wir neigen nur manchmal dazu, zu viel hineinzuinterpretieren.«
Linkohr überlegte, wie dies in der aktuellen Sache gemeint sein könnte.
Sie schwiegen sich eine Weile an, während der Audi im Kolonnenverkehr der Bundesstraße 10 dahinkroch. »Denken Sie immer dran, dass wir zwei Opfer haben, die innerhalb kürzester Zeit am gleichen Ort mit der gleichen Methode umgekommen sind. Da liegt es nahe, dass sie beide wegen ein und derselben Sache sterben mussten – und der Täter sich absolut sicher sein konnte, sie dort oben im Turm auf raffinierte Weise töten zu können«, dozierte Häberle.
»Entweder verbindet die Opfer ein Geheimnis, das wir noch nicht kennen. Oder einer von beiden ist ein Zufallsopfer.«
Fallers Metallbaufabrik war abseits der großen Supermärkte in den Hallen eines vor Jahren pleite gegangenen Unternehmens untergebracht. Auf dem Parkplatz standen nur wenige Fahrzeuge. »Die haben längst Feier-abend«, meinte Linkohr, worauf Häberle beim Blick auf die Uhr im Armaturenbrett erst bewusst wurde, dass es schon kurz vor 20.30 Uhr war. »Ein schwäbischer Unternehmer ist um die Zeit noch im Betrieb«, erwiderte er und hoffte, dass er recht behalten würde.
Die beiden Kriminalisten stiegen aus und versuchten vergeblich, am vorgesetzten Bürotrakt die stabile Glastür zu öffnen, hinter der ein geräumiges Foyer mit Grünpflanzen zu erkennen war. Häberle drückte auf den einzigen Klingelknopf, den es gab, worauf sich wenig später eine genervte Stimme im Lautsprecher meldete: »Ja?«
»Herr Faller?« fragte Häberle und bückte sich zu der Sprechanlage.
»Ja«, kam es kurz zurück.
»Kriminalpolizei, mein Name ist Häberle. Mein
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