Schattennetz
Regierungsclique reingemogelt haben, haben die Mechanismen schnell begriffen.«
Irina Oehme, die deutlich jünger sein musste als ihr Ehemann, hatte sich drei bereits entkorkte Bierflaschen unter die Arme geklemmt und stellte umständlich drei Pilsgläser auf den Tisch.
Während sie sich wieder setzte, schenkten sich die Männer ein.
»Umso wichtiger, dass wir zusammenstehn«, resümierte Oehme und prostete den anderen zu. »Jetzt habn se sogar noch da drübn vier Tafeln angebracht, vorigen Freitag«, fügte er hinzu und deutete zu den Nebenhäusern, während die anderen bereits tranken. »Eine Tafel zum Gedenken der Opfer der kommunistischen Diktatur. Und der Momper – ihr wisst, das ist der Präsident des Abgeordnetenhauses -, der hat eine große Lippe riskiert.«
Die beiden Männer hörten den empörten Ausführungen ihres alten Freundes zu, doch dann kam Kissling, nachdem er sich den Schaum vom Mund gestrichen hatte, zur Sache: »Ich hab dir am Telefon gesagt, worum es geht.«
»Ich bin informiert. Hab ja auch meine Kontakte. Bleibt ihr eigentlich heut Nacht hier?«
»Ne«, entgegnete Simbach, »ich hab morgen einen Termin. Wir wechseln uns bei der Heimfahrt ab.«
»Sonst hätt ich euch ’ne gute Pension empfohlen. Ein paar Straßenzüge weiter. Ein guter Kumpel von mir.« Oehme nahm noch mal einen kräftigen Schluck, während seine Frau ihn und die beiden anderen schweigend beobachtete.
»Danke«, meinte Simbach. »Das ist nett von dir. Aber ich muss morgen Vormittag wirklich wieder zurück sein.« Er wollte nicht sagen, weshalb ihm dies so wichtig war, sondern wechselte das Thema: »Du hast alles vorbereitet?«
»Natürlich. Wie immer. Ich hab auch die anderen alle informiert, wie besprochen. Wenn es sein muss, schicken wir noch n’ paar Leuter runter.« Oehme wirkte energisch und entschlossen. Das war genau die Art, die Simbach an ihm gefiel. Er hatte nichts von der Autorität eingebüßt, mit der er früher so erfolgreich war.
Kissling rutschte nervös auf der Ledercouch hin und her. »Was mir gar nicht gefällt, ist dieser Anruf von der Kripo.«
»Von der Kripo?«, fuhr Oehme dazwischen.
»Nun, ja«, erklärte Simbach, »es war ja klar, dass sie die Spur aufnehmen werden. Man hat angekündigt, mich morgen früh anzurufen, um einen Termin zu vereinbaren.«
»Wie? Der Kommissar will kommen. Hierher?«
»Keine Ahnung, aber er hat so etwas angedeutet. Natürlich nicht hierher nach Berlin, sondern zu mir – nach Bischofswerda.«
Kissling sah sich vorsichtig um und fügte hinzu: »Vielleicht sind sie auch schon da.« Es klang, als fürchtete er, abgehört zu werden.
»Und Czarnitz?«, fragte Oehme unvermittelt. »Wie hat das passieren können?«
Die beiden Besucher zuckten mit den Schultern, während Frau Oehme ebenso gespannt wie ihr Mann auf eine Antwort wartete.
»Woher sollen wir das wissen?«, entgegnete Simbach. »Wenns angeblich nicht mal die Polizei weiß.«
»Und wie schätzt ihr die Lage ein – in Geislingen?«
»Die haben natürlich längst rausgekriegt, dass die beiden sich verklopft haben«, erklärte Kissling.
»Und beißen sich daran fest wie Bluthunde«, mutmaßte Oehme, der noch einen Schluck nahm, worauf Kissling meinte: »Ich hab meine Fühler ausgestreckt.« Er lächelte überlegen, wie er das auch früher getan hatte, als er noch an den Schaltstellen wichtiger Informationen saß. »Sobald sich im LKA was tut, kriegen wir Bescheid.« Er konnte sich auf die Kollegen von einst verlassen. Viele waren zwar in alle Winde verstreut, doch der Zusammenhalt schien ungebrochen.
»Weißt du, wie viele kommen werden?«, wollte Simbach wissen, der inzwischen ein paar Blicke mit Frau Oehme gewechselt hatte.
»11 haben zugesagt. Um 20 Uhr in Peters Kellerbar drüben.«
Simbach nickte. Peters Kellerbar war ihm ein Begriff aus alten Zeiten. Die hatten sie im Wohnblock nebenan im Keller eingerichtet und nächtelang gesoffen und den ›Playboy‹ rumgereicht, der auf irgendwelchen Kanälen aus dem Westen rübergekommen war. Auch Videofilme, wenngleich in schlechter Qualität, waren auf diese Weise in den Ostteil der Stadt geschmuggelt worden. Manchmal stammte das Zeug auch von Westdeutschen, die es verbotenerweise in die Hauptstadt der DDR mitgenommen hatten. Am S-Bahnhof Friedrichstraße, der damaligen Grenzübergangsstelle für Besucher aus dem Westen, waren solche Materialien zuhauf beschlagnahmt worden. Simbach musste für einen Moment an einige jener Personen denken, die er
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