Schattennetz
sie das engagierte Vorgehen der Kollegen, die erkannt hätten, wie sensibel gerade dieser Tatort sei: »Wir haben es mit Verbrechen zu tun, die an einem Ort verübt wurden, der bei vielen Menschen Gefühle verletzt. Und es sind Verbrechen, die sich weit außerhalb jener Milieus zugetragen haben, die wir gewohnt sind. Vermutlich handelt es sich nicht um eine der tragischen Beziehungstaten, bei denen verschmähte Liebe oder Eifersucht eine Rolle spielen. Viel mehr könnten alte Rivalitäten dahinterstecken, wobei wir aber bislang nicht wissen, in welche Richtung dies geht, geschweige denn, weshalb sich dies alles im Kirchturm, beziehungsweise auf dem Dachboden des Kirchenschiffs zugetragen hat.«
Ein Journalist aus der ersten Reihe hob die Hand, um etwas zu sagen, wurde aber ignoriert. Stattdessen erteilte Ziegler dem Chefermittler das Wort. Häberle hatte sich auf der Herfahrt ein paar Sätze überlegt, wollte aber kein Statement abgeben, sondern Fragen beantworten. Er vermied es auch, auf Mallers Hinweis einzugehen, man habe es nicht mit verschmähter Liebe oder Eifersucht zu tun. Nach seinem jüngsten Gespräch mit Sabrina Simbach wollte er diese Variante nicht ausschließen. »Sehen Sie mir bitte nach«, begann er, »dass ich zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen nichts sagen kann. Nur so viel: Es gibt viele Ansatzpunkte, die nun der Reihe nach abgeklärt werden müssen. Sie können sich denken, dass uns das Umfeld der Toten besonders interessiert. Erst wenn wir wissen, in welcher Beziehung Simbach und Czarnitz zueinander standen, haben wir den entscheidenden Faden in der Hand, an dem wir ziehen können.« Häberle hatte für die Journalisten dann doch noch eine Überraschung parat: »Wir wissen inzwischen, dass das verschwundene Handy von Herrn Simbach in andere Hände geraten ist.« Ein erstauntes Raunen ging durch die Zuhörerschar. »Ihnen brauch ich nicht zu sagen, dass bei Kapitalverbrechen alle möglichen technischen Hilfsmittel hinzugezogen werden. Stichwort: Telefonverbindungen. Dies hat uns die Erkenntnis beschert, dass mit Simbachs Handy noch gestern Nachmittag, also am Dienstag, eine Verbindung bestand – und zwar aus einer Telefonzelle, die beim Rasthaus Plauen an der A 72 steht – Fahrtrichtung Ost. Das Handy selbst, ein Nokiagerät, ist weiterhin verschwunden. Wo Simbachs Handy zum Zeitpunkt des Gesprächs eingeloggt war, wissen wir noch nicht. Die Telefongesellschaft hat uns diese Unterlagen für die nächsten Stunden in Aussicht gestellt.«
Nun gab Pressesprecher Uli Stock die Fragerunde frei. Endlich konnte der Lederjacken tragende Journalist in der ersten Reihe seine Fragen loswerden: »Sie sagen«, begann er laut und auf Hochdeutsch, »dass eine Eifersuchtstat so ziemlich auszuschließen sei. Meine Recherchen haben ergeben, dass es da eine Prügelei gegeben hat zwischen Simbach und einem Kirchengemeinderat … er heißt …« Der Mann blätterte in einer Hand voll Schmierzettel. »Korfus. Torsten Korfus.«
Sander wurde hellhörig. Wahrscheinlich ein Kollege von ›Bild‹, dachte er. Vermutlich waren sie drei, vier Mann hoch in die Stadt eingefallen und hatten den ganzen Tag über mit der ihnen eigenen Art recherchiert.
»Korfus stammt wie Simbach aus den neuen Bundesländern«, dozierte der Journalist weiter und schien sich mit seinen Erkenntnissen brüsten zu wollen. »Und wie man so hört, hat es in beiden Ehen ziemlich gekriselt. Frau Simbach, so wird in dieser Stadt gemunkelt, soll das eine oder andere Techtelmechtel angezettelt haben – unter anderem mit Herrn Korfus. Läge es da nicht nahe, dass der Liebhaber beschließt, den ungeliebten Ehemann aus dem Weg zu räumen?«
Ziegler winkte ab. »Ich bitte Sie, Herr Steinfurt. Das sind Spekulationen, die mit unseren fundierten Erkenntnissen nicht unbedingt in Einklang zu bringen sind. Ich kann nur davor warnen, solche Schlüsse in die Öffentlichkeit zu tragen.«
Klar, dachte Sander. Eine Herz-Schmerz-Geschichte wäre den Kollegen des Boulevardblatts sicher lieber als alte Rivalitäten.
Der Journalist namens Steinfurt wollte sich so schnell nicht abspeisen lassen: »Dann neigen Sie eher zu der Variante, dass Ossis hier in der Provinz alte Rechnungen beglichen haben?«
»Wir neigen zu gar nichts«, wehrte Ziegler gelassen ab. »Wir halten uns an Fakten.« Dann benutzte er, wie Sander es empfand, seine Lieblingsformulierung: »Wir ermitteln in alle Richtungen.«
Die Praktikantin eines Privatradios, die die ganze Zeit über aus
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