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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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fünf Meter Distanz ihr Mikrofon hochgehoben hatte, obwohl dies mit Sicherheit keine sendetauglichen Aufnahmen ergab, fragte mit schriller Stimme: »Wie verdächtig ist denn die Dekanin? Man erzählt sich, sie könne sehr energisch sein.«
    Ziegler und Häberle sahen sich an. Weil sie beide nicht wussten, was sie sagen sollten, sprang Kripochefin Maller geduldig in die Bresche: »Die Frau Dekanin wird mit Sicherheit nicht mehr und nicht weniger überprüft wie alle Personen, die sich im direkten Umfeld der Opfer bewegt haben.« Das Mädchen war zufrieden. Sander überlegte, wie sich der Beitrag später im Radio anhören würde. Vielleicht so: »Auch die Dekanin ist in Geislingen ins Visier der Ermittler geraten …« Sander staunte, wie wenig sensibel meist die jungen Kollegen waren, vor allem aber, wie wenig Ahnung sie von polizeilicher Arbeit hatten. Man konnte ihnen aber nicht mal einen Vorwurf machen, denn ihre Ausbildung beinhaltete kaum noch die journalistische Kleinarbeit an der Front, nämlich im Lokalen, wo man mit allen Themen und Facetten des Lebens konfrontiert wurde. Und dies konnte halt beim besten Willen nicht im beliebten Feuilleton geschehen, wohin es die jungen Kollegen so gerne drängte. Früher, daran musste Sander bei solchen Gelegenheiten denken, hatten die Verleger noch Wert darauf gelegt, Nachwuchs heranzuziehen, der mit beiden Beinen fest im Leben stand. Bevorzugt wurden deshalb Bewerber, die bereits irgendeine andere Berufsausbildung hinter sich gebracht hatten, also wussten, wie es im Alltag in den Betrieben ablief. Seit meist nur noch Hochschulabsolventen eine Chance hatten, war die Distanz immer größer geworden, die sich zwischen dem Leser einer Heimatzeitung und den jungen Journalisten auftat, die keine Ahnung davon hatten, wie rau der Alltag im normalen Berufsleben war. Viel zu häufig, so empfand es Sander, wurden Unternehmer bejubelt, die mal wieder ein paar Lehrlinge einstellten oder ein paar Arbeitsplätze schufen, während die Verhältnisse innerhalb der Betriebe nie beleuchtet wurden: Wie die Mitarbeiter drangsaliert wurden, seit sie um ihren Job fürchten mussten, wie ihnen Abend-, Samstag- und Sonntagsarbeit aufgenötigt wurde und Lehrlinge nur billige Arbeitskräfte waren. Niemand schien sich an solche Themen heranzuwagen – oder hatte eine Ahnung von diesen Missständen, zumal auch die Gewerkschaften vornehm schwiegen. Sander musste an die Zeit denken, als er Volontär war und einen Chef hatte, der zu jenen zählte, die man einen ›aufrechten Sozialdemokraten‹ nennen konnte. Aber das lag jetzt 35 Jahre zurück.
    Sander wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als ein anderer Kollege wissen wollte, bis wann Häberle gedenke, den Fall zu lösen und dieser erklärte: »Bis zum Wochenende.« Sander stutzte. Denn jetzt war bereits Mittwochnachmittag. Wenn Häberle so überzeugend sprach, war das kein Zweckoptimismus.

31
    Es war eine lange und anstrengende Fahrt. Lkw an Lkw, Baustellen. Das Wetter diesig, und je weiter sie in den Norden kamen, umso unwirtlicher. Anton Simbach hatte die ganze Zeit über das Navigationsgerät eingeschaltet, um sich in dem Gewirr aus Autobahnen und Bundesstraßen zurechtzufinden. Zwar war er früher oft in Berlin gewesen, dessen östlicher Teil sich damals auf großflächigen Schildern als ›Hauptstadt der DDR‹ bezeichnet hatte. Doch seit der politischen Wende hatte er immer seltener Gelegenheit gefunden, von Bischofswerda raufzufahren. Sein Beifahrer, Carsten Kissling, war nach langer Diskussion über den Anruf dieses schwäbischen Kommissars doch noch eingedöst. Jetzt aber, als ihr Ziel vor ihnen lag, wurde auch er wieder wach. Die Plattenbauten, die einst als sozialistischer Fortschritt gepriesen wurden, ragten grau und trist in den ebenso grauen Julihimmel. Auch wenn sich inzwischen Balkonnischen mit fröhlichen Farben abhoben und ganze Gebäudeteile farblich unterschiedlich gestaltet waren, so verbreitete diese Wohngegend noch immer den herben Charme der DDR. Eine Straßenbahnlinie führte hier vom Alexanderplatz heraus. Mit ihr kamen auch die Touristen, denen die Fremdenführer ein wenig schreckliche DDR-Vergangenheit versprachen. Simbach hielt von derlei politischem Tourismus überhaupt nichts, zumal dies alles, wie er stets behauptete, ohnehin von westlicher Propaganda gesteuert wurde. Überhaupt empfand er jeglichen Versuch, die Vergangenheit aufzuarbeiten – und mochte es noch so neutral und sauber recherchiert erfolgen – als

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