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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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streiten, hab durch die Jalousie geschaut und nur seinen Hinterkopf gesehen.«
    »Konnten Sie erkennen, ob er groß oder klein war? Jünger oder älter?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Durchschnittlich groß. Er hatte mir den Rücken zugekehrt.«
    »Haben Sie mal den Mann kennen gelernt, für den Erin gearbeitet hat?«, fragte ich.
    »Welchen Mann? Ich dachte, sie arbeitet für Paris.«
    »Don Jade. Mittleres Alter, nicht sehr groß, sehr gut aussehend.«
    »Den kenn ich nicht. Ich kenne nur Paris. Sie ist eine so nette Person. Nimmt sich immer die Zeit, nach meinen Babys zu fragen. Vermutlich weiß sie gar nicht, dass Erin weggelaufen ist, sonst hätte sie schon mit mir darüber gesprochen.«
    »Das wird wohl so sein«, sagte ich. »Ist Ihnen etwas an dem Freund aufgefallen, Ms. Rosen? Irgendwas?«
    Eva Rosen schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, Herzchen. Ich würde Ihnen ja helfen, wenn ich könnte. Ich bin auch Mutter, wissen Sie. Haben Sie selbst Kinder?«, fragte sie und beäugte misstrauisch meinen Haarschnitt.
    »Nein, ich hab keine.«
    »Sie machen einen verrückt vor Sorgen. Und sie enttäuschen einen. Eine schwere Prüfung.«
    »Haben Sie je gehört, dass Erin ihren Freund beim Namen genannt hat?«, fragte ich.
    Sie dachte angestrengt nach. »Vielleicht. Kann sein, dass sie an dem Abend einen Namen erwähnt hat. Ja. Klang wie etwas aus einer Seifenoper. Brad? Tad?«
    »Chad?«
    »Genau.«
    Chad Seabright.
     
    Verbotene Liebe. Ob dieses Shakespearemotiv wohl zu Erins Flucht aus dem Seabright-Haus beigetragen hatte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bruce Seabright einen Flirt zwischen seinem Sohn und seiner Stieftochter gutgeheißen hatte, obwohl die beiden keine Blutsverwandten waren. Und wenn es Bruce nicht gefiel, gefiel es Krystal auch nicht.
    Warum hatte mir Molly nichts von Erin und Chad erzählt, warum hatte sie Chad nicht mal erwähnt? Vielleicht glaubte sie, ich würde das auch missbilligen. In dem Fall überschätzte sie mich. Die Moral ihrer Schwester war mir völlig egal. Erins Liebesleben interessierte mich nur als mögliches Motiv für ihr Verschwinden.
    Ich fuhr zurück zu den Seabrights. Chad, der Kranke, wusch seinen schwarzen Toyota Pick-up in der Einfahrt. Der typische amerikanische Junge in Khakihosen und weißem T-Shirt. Durch seine verspiegelte Sonnenbrille warf er einen Blick in meine Richtung, während er den Seifenschaum von den Radkappen spritzte.
    »Nette Karre«, sagte ich beim Betreten der Einfahrt. »Eva Rosen hat mir davon erzählt.«
    »Wer ist Eva Rosen?«
    »Erins Vermieterin. Der entgeht nichts, der guten Eva.«
    Chad richtete sich auf, Schlauch und Radkappen vergessen. »Entschuldigen Sie«, sagte er höflich, »ich habe Ihren Namen nicht mitbekommen.«
    »Elena Estes. Ich suche nach Ihrer Stiefschwester.«
    »Wie ich heute Morgen schon sagte, Ms. Estes: Ich hab sie nicht gesehen.«
    »Das ist aber komisch, weil Eva mir sagte, Sie seien neulich Nacht in ihrer Einfahrt gewesen. Sie scheint ein paar interessante Sachen über Sie zu wissen«, erwiderte ich. »Über Sie und Erin.«
    Er zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf und fügte dann mit einem jungenhaften Grinsen à la Matt Damon hinzu: »Tut mir Leid. Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Kommen Sie schon, Chad«, schmeichelte ich. »Ich bin doch nicht von gestern. Mir ist es egal, ob Sie was mit Erin haben. Wenn ein Junge seine Stiefschwester bumst, sträubt sich mir kein Haar.«
    Er runzelte die Stirn über diese Anschuldigung.
    »Darum ist Erin von zu Hause ausgezogen, stimmt’s? Ihr Vater hatte was dagegen, dass Sie beide es vor seiner Nase trieben.«
    »Wir haben nichts miteinander«, beharrte er.
    »Eva hat mir erzählt, dass ihr beide euch neulich Nacht in ihrer Einfahrt gestritten habt. Was ist passiert, Chad? Hat Erin Schluss gemacht? Lassen Sie mich raten: Sie waren als Freund längst nicht mehr so interessant, nachdem ihre Mami und ihr Stiefvater nicht mehr zuschauten.«
    Er wandte den Kopf ab, schien zu überlegen, wie er die Sache anpacken sollte. Sollte er die Wahrheit sagen, sich wütend geben, weiterhin leugnen, ruhig bleiben? Zu Anfang hatte er es mit Letzterem versucht, aber meine Grobheit begann ihn zu irritieren.
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind, Ma’am«, sagte er, versuchte immer noch, seine gespielte Gutmütigkeit beizubehalten, »aber Sie sind verrückt.«
    Ich fand eine trockene Stelle an der vorderen Stoßstange des Pick-up, lehnte mich dagegen und verschränkte die Arme.

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