Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
erforderlich, dass er noch einmal zu Witwe Ludgar zurückkehrte. Sie würde schon jetzt Stein und Bein schwören, dass er die ganze Nacht dort gewesen war, aber nun musste er den Zauber behutsam erneuern. Er seufzte, aber er gestand sich ein, dass er ohnehin zu früh am Markt gewesen war. Ured schüttelte den Kopf. Früher wäre ihm das nicht passiert. Er war aus der Übung, sein Gefühl für die richtige Zeit und den richtigen Ort schien ihm abhanden gekommen zu sein. Zwei Betrunkene schwankten an ihm vorüber. Dieser Jahrmarkt ließ die Leute anscheinend nicht ins Bett finden, und dann waren da noch andere, dunklere Ereignisse, die die Atgather beunruhigten. Diese lästigen Soldaten würden wohl noch eine ganze Weile in den Gassen unterwegs sein, und er konnte nur hoffen, dass sie nicht bis zum Morgen durch die Stadt patrouillierten.
Grimmig wünschte er sich, dass sie den Schatten endlich fassen würden, aber natürlich wusste er, dass auch dies seine Gefahren barg. Der junge Mann verhielt sich nicht, wie sich ein Schatten verhalten sollte, ja, sein Verhalten erschien Ured sogar völlig sinnlos, und man konnte viel über die Schattenbrüder sagen, doch nicht, dass ihre Handlungen ohne Sinn waren. Prinz Weszen hatte geschrieben, dass er sich nicht um ihn kümmern solle, aber der Prinz wusste ja nicht, wie seltsam sich der Schatten aufführte. Er erregte Verdacht – der Leutnant begann schon zu ahnen, dass dieser junge Mann Verbündete in der Burg hatte. Wenn er jetzt noch darauf kam, dass es Almisan und die Baronin waren, konnte er alles zunichtemachen. Faran Ured musste ihn im Auge behalten, ja, vielleicht musste er ihn sogar töten. Er fluchte noch einmal. Dieser Auftrag lief immer mehr in eine Richtung, die ihm ganz und gar nicht gefiel. Aber man hatte ihm keine Wahl gelassen.
Wenn man es erst einmal bemerkt hatte, war das leise Atmen unüberhörbar, ja, Sahif schien es mit jeder Sekunde, die er im Dunkeln des Stollens darauf lauschte, lauter zu werden. Sollte er zurück an die Oberfläche? Er hatte nicht einmal ein Messer, um sich zu verteidigen. Plötzlich zuckte ein Funke aus der Dunkelheit, und eine Laterne begann grünlich zu leuchten. Sahif starrte in ein kleines, blasses Gesicht, das ihn interessiert zu mustern schien. Für einen Augenblick dachte er, er hätte es mit dem seltsamen Wesen zu tun, vor dem er sich mit Habin in der Tunnelnische versteckt hatte, aber dann erkannte er seinen Irrtum: Diesem Wesen haftete nichts Monströses an. Ein Mensch war es allerdings nicht. Die Augen! Sie waren dunkel, fast schwarz in dem bleichen Gesicht, aber tief darin glomm ein seltsames Licht.
» Wer … was, ich meine, wer bist du?«
» Marberic«, sagte das Wesen, dachte einen Augenblick nach und setzte hinzu: » Mahre nennen uns die Menschen.«
Und als Sahif es weiter anstarrte, sagte es: » Ich habe dich gesehen.«
» Im Dunkeln?«
» Nein, vorhin. Der Köhler kennt dich.«
» Köhler Grams? Er ist hier?«
» Nein. Ich warte auf ihn.«
» Du wartest auf Meister Grams?« Sahif versuchte zu verstehen, was das Wesen von sich gab.
» Er kommt nicht«, erklärte der Mahr jetzt nachdenklich.
» Und warum wartest du dann auf ihn?«
Der Mahr kratzte sich an seinem schütteren Bart. » Ich habe ihm einen Ring gegeben. Er sagte, er kommt gleich wieder. Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen.«
» Wo ist er denn hingegangen?«, fragte Sahif und fand, dass dieses Gespräch in eine seltsame Richtung glitt.
» Er will seiner Tochter helfen.«
» Augenblick – Ela? Du sprichst von Ela Grams?«
Der Mahr nickte.
» Warte«, sagte Sahif. » Ich habe da eben etwas gesehen. Die Soldaten haben jemanden in die Burg gebracht. Sie mussten ihn mit mehreren Männern tragen, und ich glaube, es könnte Meister Grams gewesen sein.«
» Dann sind sie jetzt beide in der Burg.«
» Ela? Sie ist auch in der Burg?«
» Er kommt also nicht zurück«, sagte der Mahr und wirkte mit einem Mal sehr einsam.
» Ela ist also wirklich in der Burg«, murmelte Sahif. Und das sollte seiner Schwester entgangen sein? Jetzt war sicher, dass sie ihn angelogen hatte.
Der Mahr schob Sahif plötzlich sanft zur Seite, legte die Hand auf den Stein und begann in einer fremden, rauen Sprache einige Worte zu murmeln. Sahif hörte ein Knirschen und Knacken im Fels. Fasziniert betrachtete er das Wesen bei der Arbeit. Er schämte sich fast, es mit dem hässlichen Geschöpf verwechselt zu haben, das er in den Gängen gesehen hatte. Alles an ihm
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