Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
wir den Jahrmarkt und das Bankett da nicht besser absagen, Quent?«
Er stellte die Frage beinahe beiläufig, aber der alte Zauberer wusste, welche Abscheu der Herzog vor diesem Fest empfand. Er zeigte sich immer seltener in der Öffentlichkeit, und er vermied Auftritte bei öffentlichen Anlässen, wo er nur konnte. Natürlich war nicht daran zu denken. » Es ist die Sechshundertjahrfeier, Hoheit.«
» Sechshundert Jahre«, echote der Herzog matt.
» Immerhin wird ein Gesandter aus Frialis zugegen sein, eine Ehre, die uns sehr selten zuteilwird.«
Der Herzog nickte. » Ich weiß. Ist es nicht unglaublich?«
» Was, bitte, Hoheit?«
» Wie lange es schon her ist, dass meine Vorfahren diesen Ort übernahmen. Sechshundert Jahre ohne eine einzige Unterbrechung oder auch nur eine Abzweigung in eine Nebenlinie. Ist das nicht ein Wunder?«
Der Zauberer nickte. Wenn man das erste Mal darüber nachdachte, erschien es wirklich wie ein Wunder. Wenn man aber Bescheid wusste, dann war es erstaunlich, dass sich niemand darüber wunderte.
Der Herzog seufzte und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Dann sagte er: » Wisst Ihr, Quent, ich wollte, die Mahre hätten diese Stadt behalten.«
Köhler Grams kämpfte sich schwitzend den Hang hinauf. Er fühlte sich elend und verfluchte sich dafür, nichts zur Stärkung mitgenommen zu haben. Als er sich umwandte, sah er Atgath auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, schon ein gutes Stück unterhalb. Rauch stieg aus den vielen Schornsteinen auf, und er fragte sich, ob den Leuten dort unten nicht ebenso warm war wie ihm. Die Herbstsonne stand schon im Mittag, und er gab ihr die Schuld für seine Erschöpfung. Oder war es etwa doch seine eigene Schwäche? Er wusste es nicht und kletterte weiter. Es gab auch einen gewundenen, leichteren Pfad zur alten Silbermine hinauf, aber er hatte es eilig. Unten, am Fuß des Grauhorns, hatte er es noch für eine gute Idee gehalten, die Abkürzung zu nehmen. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Wo war nur die Kraft seiner Jugend geblieben? Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hätte die Milch besser in einem Schlauch befördert – der Krug erwies sich als unhandlich, und er hätte sicher die Hälfte verschüttet, wenn er ihn nicht verschlossen hätte. Hoffentlich, so dachte er , ist die Milch nicht sauer geworden.
Er war dann doch ziemlich überrascht, als er auf einmal bemerkte, dass er die Mine bereits erreicht hatte. Der alte Pfad kreuzte seinen Weg, und der dunkle Eingang lag nicht einmal einen Steinwurf entfernt. Er ließ sich ins Gras fallen und atmete erst einmal durch, dann schleppte er sich hinüber zum Stollen. Er war nicht besonders tief. Die Silberadern in den Bergen rund um Atgath folgten alle demselben bitteren Muster: Sie begannen ergiebig und versiegten ausnahmslos alle nach wenigen Schritten wieder vollständig. Der große Silberrausch hatte sich vor seiner Geburt ereignet, aber sein Großvater hatte ihm Geschichten erzählt: von den vielen Menschen, die plötzlich ins Tal gekommen waren, so vielen, dass Atgath sie nicht mehr hatte aufnehmen können, und wie in großer Hast die Neustadt aus dem Boden gestampft worden war. Auch die Burg hatte man umbauen müssen, und trotzdem war sie von Soldaten schier übergequollen, denn der Seebund hatte den neu entdeckten Reichtum gut geschützt wissen wollen. Gute Zeiten waren das für die Köhler gewesen, denn die Erzschmelzer brauchten viel Holzkohle für ihr Werk. Aber dann war eine Enttäuschung der anderen gefolgt, und als auch die Letzte der entdeckten Silberadern versiegt war, waren die Bergleute und all die anderen wieder gegangen; die Händler, die Holzfäller und Zimmermänner, die Schmelzer und Veredler und all die Handwerker, die den Bergleuten zugearbeitet hatten. Am Ende waren auch die Soldaten verschwunden, und zurückgeblieben war nur ein Bodensatz von Bettlern, Huren und Strauchdieben. So hatte es sein Großvater erzählt. Immerhin, das war der eigentliche Gewinn daran, war auch seine Großmutter damals mit ihrem Vater, einem Zimmermann, nach Atgath gekommen und geblieben, und so hatte die Geschichte, wenigstens für Großvater Grams, doch auch ihr Gutes gehabt.
Der Köhler trat in den dunklen Stolleneingang. Er ging einige Schritte hinein, suchte, bis er im Halbdunkel die abgebrochene und rostige Spitzhacke fand, nahm sie, schlug dreimal hart auf den Fels, wartete, schlug wieder dreimal zu und dann noch dreimal. Anschließend legte er die Hacke zurück
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