Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
erfährt.«
» Ich bin vor ihm zurück, Asgo. Und wenn nicht, dann sag ihm … sag ihm, dass ich mit Anuq zu Tante Zama gegangen bin.«
Ihr Bruder legte den Kopf schief und sah sie zweifelnd an.
» Ich kann nicht erlauben, dass du deinen Vater meinetwegen anlügst. Es ist besser, du bleibst hier«, sagte der Namenlose.
» Ob ich ihn anlüge oder nicht, kannst du getrost mir überlassen, Anuq. Warte, ich suche dir einige Sachen von ihm heraus. Sie sind dir sicher zu weit, aber mit einem Gürtel wird es schon gehen.«
» Es könnte gefährlich werden«, wandte er ein. » Du weißt, man hat einen Toten gefunden.«
Sie rümpfte ihre leicht himmelwärts weisende Nase: » Kennst du denn irgendjemanden in der Stadt? Nein! Du weißt ja nicht einmal, ob du schon mal in Atgath gewesen bist. Du brauchst jemanden, der dich führt.«
» Aber Ela, Vater hat dir verboten, allein in die Stadt zu gehen.«
» Ich bin ja nicht allein.«
» Aber Ela …«
» Du trägst hier solange die Verantwortung, Asgo. Wenn ich bis zum Abend nicht zurück bin, erinnere deinen Bruder daran, etwas zu essen, falls Vater auch noch fort sein sollte. Ich bringe ihn nur in die Stadt zu Meister Dorn, der weiß doch meistens, was vorgeht. Und dann komme ich zurück.«
Asgo schüttelte den Kopf. » Die Wachen werden Fragen stellen.«
» Was ist schon dabei, wenn mein Vetter aus dem Süden mir hilft, eine Fuhre Holzasche zu Meister Dorn zu bringen?«
» Aber wir haben ihm erst letzte Woche …«
» Und du meinst, das wissen die Soldaten noch? Die denken doch nicht weiter als bis zum Rand ihrer Helmkrempe. Und jetzt geh und spanne Haam vor den Karren, und du, Anuq, kannst dich ruhig auch endlich einmal nützlich machen.«
Er nickte. Anuq – der Schwarze Sperber. Der Name war wirklich gerade einmal besser als gar keiner. Er würde ihn nur so lange tragen, bis er seinen eigenen wiederfand. Das Mädchen schien wild entschlossen, ihm zu helfen. Er fragte sich, was sie sich davon versprach. Aber offensichtlich hatte sie einen Plan, und das war mehr, als er von sich behaupten konnte.
Der Köhler blickte über das Tal und nahm einen Schluck aus dem Krug. Die schnell ziehenden Wolken sorgten für ein lebhaftes Schattenspiel. Er konnte Menschen sehen, die die Straße zur Stadt hinaufpilgerten, viele Menschen, denn es war der erste Tag des dreitägigen Jahrmarkts. Als er jünger gewesen war, hatte er diese Festtage und die Kämpfe kaum erwarten können. Jetzt fand er, dass aus dieser Höhe alles klein und unbedeutend wirkte. Er trank langsam, um sich den Branntwein einzuteilen, denn er hatte keine Ahnung, wie lange er warten musste. Wenn er Pech hatte, konnte es bis zum Abend dauern, vielleicht sogar bis zum nächsten Tag. Er aß einen Apfel und wünschte sich, er hätte mehr zu essen mitgenommen.
Hinter ihm räusperte sich jemand.
Er warf einen Blick über die Schulter. » Das ging ja schnell«, stellte er fest.
Der Neuankömmling nickte. Er war keine drei Ellen groß und so feingliedrig, dass er beinahe zerbrechlich wirkte. Seine Haut war ungewöhnlich bleich, beinahe weiß, und die Augen in dem schmalen Gesicht lagen tief und dunkel in den Höhlen. Wenn Grams jedoch genauer hinsah, meinte er immer, ganz tief im Inneren einen fahlen Funken glimmen zu sehen.
» Ich habe dir Milch mitgebracht, Marberic«, sagte er.
Der so Angesprochene setzte sich neben ihn und blinzelte in die Sonne, aber der Milchkrug schien ihn nicht zu interessieren. » Es ist jemand nach Mahratgath gekommen«, begann er stattdessen.
» Nach Atgath?«, fragte der Köhler, der sich dunkel erinnerte, dass die Stadt früher die Mahre im Namen geführt hatte. Er stopfte den Korken in den Krug. Es war vielleicht besser, jetzt nichts mehr zu trinken.
» Ja, Atgath. Jemand, der schon lange nicht mehr hier war.«
Grams wartete ab. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er dem Mahr Zeit geben musste. Marberic pflegte nicht viel Umgang mit Menschen, und ihm fehlten oft die richtigen Worte, wenn er etwas sagen wollte.
» Er hat etwas von uns. Aber er hat es nicht von uns«, erklärte der Mahr jetzt.
Grams kratzte sich am Kopf, denn das verstand er nicht. » Es ist auch jemand in meine Hütte gekommen. Ein junger Fremder, aus dem Süden.«
» Jung?«
» Zwanzig, vielleicht. Er sagt, er weiß nicht, wer er ist. Ich habe aber gesehen, dass er Zauberkräfte hat.«
» Ein Zauberer? Hat er etwas von uns?«
» Du meinst einen Ring oder so etwas? Nein, ich glaube nicht, mir ist keiner
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