Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
einmal anständig gedankt hatte sie ihm für alles, was er für sie getan hatte.
Widerstrebend schulterte sie ihre Tasche. Sie überquerten das Geröllfeld und eine kleine Kuppe, dann öffnete sich vor ihnen das lange Tal, das nach Felisan führte. Es war ein wolkenreicher und trüber Tag, und vielleicht war das der Grund, dass sie das berühmte Licht des Spiegelturms, von dem ihr Wulger Dorn einmal erzählt hatte, nicht sehen konnte. Aber Marberic hatte auch gesagt, dass es noch ein Tagesmarsch bis dorthin war.
» Komm jetzt endlich«, drängte Sahif und warf sich den Umhang über.
Ela wollte ihm eine schnippische Antwort geben, aber der Mund blieb ihr offen stehen, denn Sahif war spurlos verschwunden. Als sie jedoch ihren eigenen Mantel übergeworfen und die kleine Schnalle geschlossen hatte, sah sie ihn wieder – deutlich, aber viel blasser als zuvor. Er sah aus wie ein Geist, der im Sonnenlicht wandelte. Sie hoffte, dass das kein böses Omen war, und folgte ihm hinab ins Tal.
Ein kleiner Riss zeigte sich im Felsen, da, wo Bahut Hamochs Hand lag. Er wiederholte murmelnd das Wort, das Kisbara ihn gelehrt hatte. Der Riss breitete sich aus, verzweigte sich und durchzog plötzlich in hundert feinen Brüchen den Felsen. Es gab ein leises Geräusch, beinahe ein Seufzen, es folgte ein scharfes Knacken, und dann zersprang die Wand zu Staub. Hamoch hustete, aber als der Staub sich gelegt hatte, konnte er den Gang sehen, den die Wand verborgen hatte. » Unglaublich«, flüsterte er.
Kisbe Kisbara lachte leise. » Begreift es doch endlich, Hamoch. Magie ist eine Form des Lebens, auch wenn sie, wie in diesem Fall, dazu verwendet wurde, eine falsche Wand aus scheinbar totem Stein zu erschaffen.«
» Magie ist Leben, Leben ist Magie«, murmelte Hamoch eine alte Formel, die er einmal gelernt hatte.
» Das lehren sie in manchen Bruderschaften, aber sie wissen wohl selbst nicht, was es bedeutet«, rief Kisbara unwillig und schüttelte den Staub aus ihrem Mantel.
» Und was bedeutet es, Herrin?«, fragte Hamoch, der rasch gelernt hatte, dass eine dumme Frage von seiner Lehrerin immer noch besser aufgenommen wurde als eine falsche Vermutung.
» Magie ist gewissermaßen lebendig. Und alles, was lebendig ist, kann man töten«, erklärte sie kalt. » Kommt jetzt zurück ins Laboratorium. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, und sie wird doppelt so lange dauern wie nötig, weil Ihr so schwer von Begriff seid, Hamoch.«
» Aber die Gänge? Wollen wir sie nicht erkunden, herausfinden, wer diese Wand gemacht hat?«
Kisbara schnaubte verächtlich. » Ich weiß, wer sie gemacht hat, doch darum kümmern wir uns später. Wozu habt Ihr die Homunkuli? Schickt Eure kleinen Schnüffler, Hamoch, so haben sie vielleicht endlich Gelegenheit, etwas wirklich Nützliches zu tun.«
» Ja, Herrin«, seufzte Hamoch. Er blickte in die vier kleinen Gesichter mit den übergroßen Augen, die stumm ins Nichts starrten. » Es ist gefährlich. Ich habe schon einen Homunkulus hier unten verloren. Es leben Männer hier unten, Gesetzlose.«
» Wirklich? Ich hoffe, Ihr glaubt nicht etwa, diese magische Wand sei Menschenwerk. Nein, da gibt es hier unten stärkere Mächte, Hamoch, und wir werden noch weit mehr als eines von Euren hässlichen Geschöpfen verlieren, bis wir den Ursprung dieser Gänge gefunden haben. Gewöhnt Euch besser an diesen Gedanken. Und jetzt lauft, ihr kleinen Ungeheuer«, kommandierte sie, » zeigt, dass euer totes Fleisch noch zu mehr taugt als dazu, ein Laboratorium zu fegen.«
Die vier Gestalten gehorchten sofort. Hamoch sah ihnen nach, wie sie schnüffelnd und tapsend mit ihren kleinen Füßen dem Gang folgten. Schon bogen sie um eine Ecke und waren verschwunden.
» Kommt schon, Hamoch, Ihr werdet Euer Herz doch nicht an Dinge hängen.«
» Dinge?«, fragte er unwillig.
» Viel mehr sind sie doch nicht; seelenlose kleine Geschöpfe, zusammengenäht aus Leichenteilen, wie man schlechte Kleider aus Lumpen zusammennäht.«
» Ich hoffe dennoch, dass sie wohlbehalten zurückkehren«, entgegnete Hamoch wütend.
Kisbara zuckte mit den Schultern. » Nicht alle, denke ich. Ich bin sicher, die Wesen, die diese Wand gebaut haben, wissen schon, dass sie zerstört ist. Sie werden nicht sehr erfreut sein. Ich glaube nicht, dass Eure Homunkuli Gegner für sie sind, oder sonst irgendetwas, was Ihr derzeit mit Magie erschaffen könntet, Hamoch. Wenn Ihr wirklich deren Reich betreten und Euch mit ihnen messen wollt, müsst Ihr noch viel
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