Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
lernen.«
» Wann werdet Ihr es der Baronin sagen?«, fragte Hamoch, als sie ins Laboratorium zurückgekehrt waren.
» Was sagen?«
» Was ich, ich meine, was wir letzte Nacht herausgefunden haben, Herrin.«
» Irgendwann im Laufe des Tages, denke ich.«
» Aber – es stellt all ihre Pläne in Frage!«
Kisbe Kisbara drehte sich um und bedachte ihn mit einem kalten Lächeln. » Die Pläne, in die sie mich nicht einweihen will? Das ist dann ja wohl nicht mein Fehler, oder? Ich werde Esara schicken und die Baronin bitten, zu uns zu kommen. Ihr werdet sehen, sie wird sich Zeit lassen. Aber auch das ist dann nicht mein Fehler.«
Aina war noch schöner, als Almisan sie beschrieben hatte, ja, sie war eine Schönheit. Jamade konnte es nicht anders ausdrücken. Sie folgte der jungen Frau in der Gestalt eines Bauern über den Markt und prägte sich ihre Gesten, ihre Bewegung und ihre Stimme ein. Es ist leicht zu verstehen, dass Prinz Sahif dieser Frau verfallen ist, dachte sie. Aina war nicht nur schön, sondern auch lebhaft wie ein kleiner Vogel, fröhlich und anmutig, wenn sie über den Schmutz der Straßen hüpfte. Ihr rabenschwarzes Haar reichte bis zum Gürtel, und es lag eine gewisse Koketterie darin, dass sie diesen Gürtel so eng geschnallt hatte, dass ihre schlanke Hüfte und ihre vollen Brüste selbst unter dem Wollmantel, den sie gegen die Kälte trug, sehr gut zur Geltung kamen. Ihr Gesicht war ebenmäßig, ihre Haut samten, und Jamade, die sich nicht einmal verwandeln musste, um mit einem jungen Mann verwechselt zu werden, beneidete sie um ihre weichen Gesichtszüge und ihre großen, warmen Mandelaugen.
Aina kaufte nicht viel, nur einen Laib Brot und einige Trauben, und mit ihrem Lächeln, das Jamade inzwischen fast zu süßlich erschien, musste sie nicht viel feilschen, um einen günstigen Preis zu erzielen. Man war erstaunlich freundlich zu ihr, der Oramari, wie Jamade beinahe verärgert feststellte. Die Oramarer waren nirgendwo außerhalb ihres großen Reiches besonders beliebt, aber in Felisan waren sie geradezu verhasst. Jamade kannte den Grund: Es ging um eine Kolonie, die Felisan auf einer der Teeinseln gegründet hatte. Sie war von den Einheimischen zerstört worden, und es war ein offenes Geheimnis, dass die Aufständischen ihre Waffen aus Oramar bekommen hatten. Viele Söhne und Töchter Felisans waren dabei umgekommen. Das lag über zwanzig Jahre zurück, war aber noch lange nicht vergessen. Aina wurde dennoch mit einer für Jamade geradezu irritierenden Freundlichkeit behandelt. Sie bekam ihre Trauben zum halben Preis, und am nächsten Stand musste sie nur ein wenig scherzen und erhielt eine Handvoll Feigen verehrt. Sie belohnte den Verkäufer mit einem weiteren zuckersüßen Lächeln, kaufte aber nichts. Alles in allem schien sie sich mehr die Zeit vertreiben als etwas Bestimmtes einkaufen zu wollen.
Sie wartet, dachte Jamade, sie wartet auf ihren Geliebten. Und so warten wir gemeinsam. Ihr Schattenbruder Almisan hatte gesagt, dass der Prinz sein Gedächtnis verloren hatte, aber die Bergkrieger hatten berichtet, dass er durchaus noch wusste, wie man kämpft. » Er tappte in unsere Falle wie ein neugeborenes Rehkitz, aber dann war es, als sei ein Dämon über ihn gekommen«, hatte der Anführer der Rotte berichtet, die ihn gestellt hatte. Zwei Bergkrieger hatte Sahif bei diesem Kampf getötet, einen weiteren verwundet, und das, obwohl er nach Aussage des Atmans nur mit einem morschen Knüppel bewaffnet gewesen war. Sie durfte ihn also nicht unterschätzen, und sie dachte an das, was ihre Meister sie gelehrt hatten: Ein Schatten sollte einen Kampf vermeiden, wenn der Ausgang ungewiss war. Sahif schien auch das vergessen zu haben. Sie fragte sich immer noch, ob sie ihn kannte. Es gab mehrere Schüler aus Oramar, die zu ihrer Zeit in der Festung der Schatten ausgebildet worden waren. War Sahif einer von ihnen gewesen? Und wenn ja, welcher?
Aina beendete ihren Marktbesuch und schlenderte hinunter zum Hafen. Jamade folgte ihr, verschwand aber dann kurz in einer schmalen Seitenstraße. Sie sammelte sich, rief stumm die Ahnen und die Erdgeister ihrer Heimat an, schüttelte sich und trat als junger Seemann wieder aus der Gasse hervor. Das war das andere, was die Meister über Kämpfe lehrten: Sorge dafür, dass das Ende vor dem Beginn feststeht. Sie hatte, während sie von Atgath nach Felisan geeilt war, einen Plan geschmiedet: Ainas Gestalt würde ihr helfen, nah an Prinz Sahif heranzukommen. Er
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