Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
durfte erst Verdacht schöpfen, wenn ihre Klinge ihn bereits durchbohrt hatte. Deshalb musste sie diese Frau beobachten und ihre Bewegungen, Gesten und Eigenheiten lernen. Deshalb folgte sie Aina auf Schritt und Tritt, und jetzt hinunter zum Hafen, der in die Felsen einer natürlichen Bucht hineingebaut worden war. Überragt wurde er von dem großen Turm, der auf einem Felsen am Ende der Mole ruhte und unter dessen Dach viele Spiegel auch bei Tag ein helles Licht über die See und das Land hinaussandten.
Es lagen zahlreiche Schiffe im großen Hafenbecken vor Anker, und viele auch an den Landebrücken und am breiten Kai: plumpe Frachter mit viereckigen Segeln, schnelle Kriegsgaleeren des Seebundes und offene Langboote aus Westgarth. Dazwischen fiel Jamade aber auch ein großer, schlanker Segler der Art auf, wie sie in Oramar gebaut wurden. Er war kein Frachter, aber auch kein Kriegsschiff, und die üppigen Schnitzereien und vergoldeten Ornamente schienen darauf ausgelegt zu sein, den Betrachter zu beeindrucken. Er lag am Kai, und der Zugang an Bord wurde von zwei Bewaffneten bewacht – Oramarern.
Rund um die Schiffe herrschte reges Treiben. Schauerleute luden Waren aus und ein, unterstützt von einigen großen Kränen, in deren Treträdern kräftige Männer schufteten. Jamade hätte an diesem bunten Treiben durchaus Vergnügen gefunden, wenn sie dabei nicht auch noch Aina im Auge hätte behalten müssen. Sie fragte sich, wo die junge Frau hinwollte, und erfuhr es bald, denn sie hielt zielstrebig auf den oramarischen Segler zu, betrat die Laufplanke und verschwand an Bord. Jamade war überrascht. Nach allem, was Almisan ihr erzählt hatte, war Aina ganz allein in Felisan, und da ihr die Baronin nicht mehr traute, wusste sie auch nichts von den Spionen, die hier für Shahila die Augen offen hielten. Jetzt besuchte sie ein oramarisches Schiff? Ein Zufall? Suchte sie nur die Nähe ihrer Landsleute, oder steckte mehr dahinter? Jamade setzte sich auf eine Holzkiste, die am Kai stand und offenbar darauf wartete, verladen zu werden, und ließ das Schiff nicht aus den Augen.
» Gib Acht, Mann«, knurrte eine raue Stimme, als sie schon eine Weile dort saß. Sie gehörte einem Hafenarbeiter, der mit einem Sack auf dem Rücken dem Kai zustrebte, nun aber neben Jamades Kiste anhielt.
» Was gibt es, Mann? Du störst«, knurrte Jamade zurück, die darauf achtete, nicht aus der Rolle zu fallen.
» Na, rutsch ein Stück, damit ich meine Last für einen Augenblick dort ablegen kann. Offensichtlich weißt du nicht, wie schwer so ein Sack sein kann.«
» Schon recht«, antwortete Jamade grinsend und rutschte ein Stück zur Seite.
» Wartest du auf Arbeit?«, fragte der Träger, ließ seine Last auf die Kisten gleiten und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
» Und wenn?«
» Für die Arbeit am Hafen siehst du ein bisschen schmal aus, Freund. Aber falls doch, solltest du mit Meister Leef reden, der hat hier das Sagen. Und für ein paar Groschen lege ich ein gutes Wort für dich ein.«
» Danke, Freund, aber ich halte eher Ausschau nach einem Schiff, das mir zusagt.«
» Glücklich, wer sich in diesen Zeiten leisten kann, wählerisch zu sein.«
Jamade verzog das Gesicht. » Lange kann ich es mir nicht mehr leisten, aber ich will weder auf einer dieser stinkenden Galeeren Dienst tun, noch auf so einem lahmen Frachter, der von Hafen zu Hafen kriecht.«
» Na, ich hoffe, du denkst nicht an diesen verfluchten Oramar-Segler da«, meinte der Arbeiter und wies auf das Schiff, auf dem Aina verschwunden war und das Jamade betont auffällig musterte.
Jamade gab sich zögernd: » Nicht unbedingt, aber falls doch?«
» Würde ich dir abraten, Mann. Man kann ihnen nicht trauen, und mir war die Zeit lieber, als es ihren Händlern noch verboten war, unsere Häfen anzulaufen, das sage ich dir!« Und zur Bekräftigung spuckte er auf den Boden.
» Der sieht aber nicht aus wie ein Händler«, meinte Jamade und nickte, als würde sie die Abneigung gegen die Oramarer teilen.
» Ist er auch nicht. Seit drei Tagen liegt er schon da. Es heißt, ein Botschafter sei an Bord. Aber was will der hier in Felisan, frage ich dich. Ich sage dir, er ist ein Spion, und es wäre für alle das Beste, wenn man ihn an die nächste Rah knüpfte.«
» Ist das die berühmte Gastfreundschaft der Haretier?«, fragte Jamade spöttisch.
» Gastfreundschaft ist nur für Gäste, Freund. Und jetzt entschuldige mich. Der Kerl dort drüben mit dem roten Gesicht,
Weitere Kostenlose Bücher