Schattenprinz
ausgehungertes Tier darauf zu stürzen.
»Bist du auch eine von Gareths Gefangenen?«, fragte Adele, um sich von den Speisen abzulenken.
Die junge Frau lachte leise. »Ich bin keine Gefangene. Nicht mehr als Sie.« Sie stellte die Teller auf den Tisch neben dem knisternden Kamin. »Am besten essen Sie, solange es noch heiß ist.« Morgana leerte das Tablett und stellte es auf dem Bett ab. Dann ging sie zum Feuer und schürte die Glut, bevor sie Holz nachlegte und es wieder auflodern ließ.
Adele setzte sich beinahe gegen ihren Willen. Sie wollte nichts von Gareths Freundlichkeit, doch sie brauchte ihre Kraft, um eine Möglichkeit zur Flucht zu finden, und das Dienstmädchen wirkte harmlos genug. Adele beobachtete den Tanz der Flammen, während sie ein Stück warmes, knuspriges Brot verschlang.
Morgana deutete auf die Pistole, die Adele immer noch in der Hand hielt. »Die brauchen Sie nicht weiter zu halten.«
»Das ist liebenswürdig, aber ich habe sie gerne bei mir, wenn Vampire in der Nähe lauern.«
»Vor Prinz Gareth haben Sie nichts zu befürchten.«
»Hat er dir aufgeschrieben, das zu sagen? Ach, stimmt ja, er kann gar nicht schreiben. Er ist ein Vampir!« Adele biss herzhaft in ein weiches Stück gekochtes Schweinefleisch.
Lächelnd sah Morgana ihr beim Kauen zu. Dann stand sie auf und strich sich Asche und Holzspäne vom Rock. »Ruhen Sie sich heute Nacht aus. Morgen können Sie sich dann mit eigenen Augen überzeugen.« Das Mädchen nahm das Tablett und ging.
Das Zimmer wurde wieder still bis auf das Knacken der Holzscheite im Kamin. Adele ignorierte ihre Verletzlichkeit für den Augenblick und konzentrierte sich aufs Essen. Es kümmerte sie nicht einmal, ob es vergiftet war, obwohl sie bezweifelte, dass Gareth sich all die Mühe machen würde, sich zu verkleiden und sie nach Edinburgh zu bringen, nur um sie dann zu ermorden.
Schließlich schob Adele die leeren Teller beiseite und wischte sich das fettverschmierte Gesicht mit einer fleckigen Leinenserviette ab, ihr Hunger war einstweilen gestillt. Sie zog einen Stuhl vor die Tür und klemmte ihn unter die Klinke, bevor sie den Riegel wieder vorschob. Erst dann zog sie die schmutzigsten äußeren Kleidungsstücke wie Schuhe, Umhang und Rock aus. Sie legte sie gefaltet auf einen nahen Stuhl und kroch immer noch größtenteils bekleidet unter die Bettdecken.
Schatten krochen an den Wänden entlang. Adele versuchte, die wachsende Angst in ihrem Innern zu beruhigen. Ihr graute vor dem Gedanken, der Erschöpfung nachzugeben, aber sie wusste, dass ihr Körper sie letztlich verraten würde.
Plötzlich bewegte sich ein Schatten in die falsche Richtung.
Adele fuhr hoch und griff nach der Pistole. Doch sie schoss nicht. Ihr Instinkt ließ sie nicht im Stich. Es war kein Vampir, der da durch die Dunkelheit schlich. Es war eine Katze.
Das pelzige kleine Tier streckte sich träge, als wäre es aus einem Schlummer erwacht, und fragte sich nicht einmal, wer die Fremde in seinem Zimmer war. Es hüpfte einfach aufs Bett, kam ohne Angst zu ihr und schnurrte sofort zufrieden darüber, an diesem Abend Gesellschaft gefunden zu haben.
Die Zuneigung der Katze wärmte Adele. Schließlich wusste sie ja nichts über ihre Umgebung. Man konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, im Haus eines Monsters zu wohnen. Ihr Fell war grau und weiß und sie hatte kleine weiße Pfoten und einen weißen Fleck auf der linken Seite des Gesichts.
Adele lehnte sich zurück. Der Körper der Katze war warm, und sie schmiegte sich an sie, den Schwanz um die Füße geringelt. Solch bedingungsloses Vertrauen linderte Adeles Unruhe ein wenig. Sie streckte die Hand aus, schloss die Finger um das kalte Metall der langen Klinge und zog sie näher zu sich. Bevor sie sich versah, war sie eingeschlafen, während sie Greyfriars Schwert umklammerte.
Adele wachte auf und lag allein in dem Bett. Ihre Träume waren von Vampiren und Schreien erfüllt gewesen. Die Katze, die ihr während des Großteils der Nacht Gesellschaft geleistet hatte, war irgendwohin verschwunden, obwohl die Schlafzimmertür immer noch verriegelt und verbarrikadiert war. Fahles Tageslicht strömte durch die dünnen Vorhänge und vertrieb die Dunkelheit, die sie während der Nacht so geängstigt hatte. Sie schlug die warme Decke zurück und öffnete die Vorhänge, um auf einen kargen Burghof hinauszublicken. Kein großer Unterschied zu ihrer Aussicht im Tower von London.
Mit in der Luft kondensierendem Atem wandte sie sich vom
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