Schattenreiter
Hund noch lebt.« Er lachte leise.
»Hey, mach dich nicht lustig. Ich habe es nur gut gemeint. Außerdem wusste ich, dass er tot ist. Erst als du ihn wie ein Baby eingewickelt hast, bekam ich Zweifel.«
»Ich weiß. Aber deine Unsicherheit hat dich trotzdem verraten.« Sein Lachen wurde lauter.
»Das nenne ich Dankbarkeit«, sagte ich gereizt, denn ich fühlte mich von dem Kerl veralbert. »Das nächste Mal überlege ich es mir zweimal, ob ich helfe.«
Sacht hielt er mich am Arm zurück. »Sei nicht böse, Stadtmädchen. War nicht meine Absicht, dich zu kränken. Im Gegenteil. Ich bin dir wirklich dankbar.«
Er drückte mir den letzten Stein in die Hand und nickte mir aufmunternd zu. Ich legte ihn an die vorgesehene Stelle.
»Sehr gut«, lobte er mich und presste die Handflächen aneinander, als wollte er beten.
»Was soll das werden?«, fragte ich irritiert.
»Ich muss seinen Geist befreien.«
»Was?«
»Er steckt in seinem Körper fest, weil er einen grausamen Tod erfuhr. Wenn wir ihn nicht befreien, bleibt er für immer gefangen und findet niemals Frieden.«
Der Kerl meinte ernst, was er da sagte. Ich hingegen glaubte nicht an Übersinnliches. Unter normalen Umständen hätte ich ihn einfach machen lassen und wäre gegangen. Aber etwas an ihm faszinierte mich und hinderte mich daran zu gehen. Stattdessen beobachtete ich ihn sehr genau. Er holte ein Gebilde aus mehreren Federn, das an einen Traumfänger erinnerte, aus seinem Rucksack und legte es auf das Grab.
Dann senkte er den Kopf, so dass ihm die Haare ins Gesicht fielen, und konzentrierte sich. Reglos verharrte er vor dem Steinhaufen. Ich wagte nicht, mich zu bewegen oder zu sprechen.
Eine fast unheimliche Stille breitete sich über dem Feld aus. Der Wind bewegte die Federn, trieb sie plötzlich hinauf, bis sich das runde Gebilde um sich selbst drehte.
Es flog immer weiter, bevor es langsam wieder zu Boden segelte. Ungläubig verfolgte ich das Spiel. Neugierig und eingeschüchtert zugleich. War es der Geist des Hundes gewesen, der die Federn bewegt hatte? Ich traute mich nicht, den Fremden zu fragen.
Gerade als ich glaubte, er hätte sein Gebet beendet, ertönte eine kehlige Stimme, die so ganz anders klang als seine Sprechstimme. Andächtig lauschte ich dem angenehmen Klang.
»E’neya … Mahitoka di Ti’tibrin, ta’ke di Mal. E’neya, Mahitoka di Ti’tibrin, ta’ke di Mal.«
Ein kräftiger Windstoß fegte das Federgebilde über das Feld, so weit, dass ich es nicht mehr sehen konnte. Die Stimme des Fremden vibrierte. Dann wurde er leiser, bis er nur noch flüsterte und schließlich ganz verstummte.
Ohne ein weiteres Wort erhob er sich, klopfte sich den Sand von den Jeans und zupfte einen Grashalm ab, den er sich in den Mund steckte.
»Ist der Geist befreit?«, fragte ich verunsichert. Er nickte lediglich und ordnete zwei der aufgestapelten Steine neu an.
»Du gehörst zu den Sioux, oder?« Ich hatte in meinem Reiseführer gelesen, dass South Dakota einst ihr Territorium gewesen war. Doch zu meiner Überraschungschüttelte er den Kopf, allerdings ohne mir zu verraten, welchem Stamm er stattdessen angehörte.
Langsam gingen wir zur Straße zurück. In dem Moment fiel mir ein, dass ich ihn unbedingt etwas fragen wollte.
»Woher wusstest du, dass er gezielt getötet und nicht einfach nur überfahren wurde ?«
»Ihr Stadtmenschen habt Augen und könnt doch nicht sehen.« Dieses Mal hörte ich sein Bedauern, vielleicht sogar Mitleid.
»Ich kann sehen«, beharrte ich.
»Das glaubst du. Hast du die Wunde an seinem Hals bemerkt? Sie wurde ihm mit großer Wahrscheinlichkeit durch ein Messer zugefügt.«
Ich schüttelte entsetzt den Kopf. Nein, das war mir tatsächlich entgangen. Und darüber war ich sogar froh, denn ich konnte kein Blut sehen. Selbst wenn es getrocknet war.
»Wer macht nur so was?«
Mit zügigen Schritten ging er vor mir her. Ich versuchte, zu ihm aufzuschließen. An der Straße angekommen, drehte er sich um. »Ich weiß es nicht.« Doch seine zusammengezogenen Brauen sagten etwas anderes.
Er richtete den Rucksack, der an einem Träger über seiner Schulter hing, und deutete die Straße hinunter zur Stadt. »Ich muss dort entlang.«
»Wir sollten es der Polizei melden«, sagte ich entschlossen.
»Ohne einen Beweis können die nichts machen. Leider.«
»Wir müssen zumindest den Besitzer verständigen. Weißt du, wem der Hund gehört hat?«
»Roy. Zu dem gehe ich jetzt.« Er klopfte auf seinen Rucksack, aus dem
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