Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
begann die getroffene Stelle zu pochen. Doch der Schmerz war nichts im Vergleich zu meinem verletzten Stolz. Asami hatte mich gemaßregelt wie einen ungezogenen Bengel, von dem er keine Gegenwehr befürchtete. Zu Recht, wie ich mir widerwillig eingestehen musste.
»Du wirst nicht wieder wechseln«, stellte er bestimmt fest. »Und wenn doch, wirst du dich den Konsequenzen stellen müssen.«
Ohne mich weiter zu beachten, spannte Asami seine Schwingen auf und trat über den Klippenrand. Ich sah zu, wie sich seine imposante Silhouette in einen fernen Flecken am Morgenhimmel verwandelte. Selbst als er bereits lange verschwunden war, stand ich noch da. Sollte ich mir von Asami mein Leben diktieren lassen, Regeln akzeptieren, die aus meiner Sicht keinen Sinn ergaben? Die Sphäre hatte Mila eingelassen, also stand es ihr auch zu, als mein Gast hier zu sein. Nein, Asami wollte einfach nur seinen Willen durchsetzen. Er mochte Gründe dafür haben, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam mir der Verdacht, dass etwas Persönliches hinter seiner Kompromisslosigkeit steckte. Er hatte von der Geschichte der Schattenschwingen gesprochen, vielleicht hatte er jedoch viel mehr seine eigene Geschichte gemeint. Wenn Mila mit mir zusammen sein wollte, dann würde ich mir das nicht nehmen lassen. Nicht von ihm und auch von niemand anderem.
21
Sonnenstrahlen auf der Haut
Mila
Am nächsten Morgen weckte mich das Schrillen der Eieruhr und das kurz darauf folgende Geschimpfe meiner Mutter, dass es offensichtlich egal sei, wie lange sie die Eier kochen ließe, weil sie eh immer hart würden. Dann war nur noch das leise Gemurmel meiner Eltern am Frühstückstisch zu hören. An meine Tür hatte niemand angeklopft, offenbar wollten sie Lena und mich ausschlafen lassen.
Ich lauschte noch eine Weile in die Stille hinein, weil es mir schwerfiel, die Augen zu öffnen. Allerdings war es nicht der Schlafmangel, der mir zu schaffen machte, sondern die Sorge, dass die Erlebnisse der letzten Nacht nur ein Traum gewesen sein könnten. Falls sie nur ein Traum gewesen waren, wollte ich gar nicht erst aufwachen. Dann stieg mir ein Geruch in die Nase, den ich in den letzten Wochen so schmerzlich vermisst hatte. Er kam von Sams Baseballshirt, das ich mir anstelle meines Nachthemdes übergezogen hatte.
Mit einem Strahlen im Gesicht schlug ich die Augen auf und wurde von Pingpong begrüßt, die mit ihren Krallen gerade meine Bettdecke bearbeitete, um sich eine gemütliche Kuhle zurechtzuzupfen.
Obwohl mein Körper sich danach sehnte, sich noch einmal umzudrehen und weiterzuschlafen, sprang ich ins Badezimmer und sah zögernd auf mein Spiegelbild. Für ein Mädchen, dessen Welt gerade auf den Kopf gestellt worden war, sah ich ganz okay aus. Übernächtigt und mit abstehendem Zottelhaar, aber es war kein nervöses Zucken zu entdecken. Außerdem konnte ich mir das erste Mal seit Wochen wieder in die Augen schauen - davor war die Angst zu groß gewesen vor dem, was ich vielleicht in ihnen gelesen hätte. Das Beste an meinem Anblick war zweifelsohne das zu große Baseballshirt, dessen Ausschnitt mir fast über die Schulter rutschte. Es ausziehen zu müssen, gefiel mir gar nicht. Ich schmiegte noch einmal meine Wange an den Stoff, dann zog ich es mir über den Kopf. Nur noch ein paar Stunden, dann würde ich Sam wiedersehen.
Als ich am Frühstückstisch auftauchte, war mein Vater bereits zur Uni aufgebrochen und Reza blätterte in einem Gartenjournal.
»Schau an, mir dir habe ich heute eigentlich nicht vor dem Mittagessen gerechnet. Ihr seid doch erst gegen fünf Uhr morgens wiedergekommen.«
»Hast du etwa wach gelegen und auf uns gewartet?«
Meine Mutter guckte ertappt. »Nun … Pingpong hatte kurz zuvor rumgemaunzt, weil sie reingelassen werden wollte. Deshalb weiß ich, wann ihr zurückgekommen seid. Nicht etwa, weil ich kein Vertrauen zu euch habe oder eine überspannte Mutter bin, die ihr Küken nicht unter ihren Fittichen rauslassen kann.« Geschäftig räumte Reza das Journal beiseite und begann, mir ungefragt Kaffee einzuschenken. Als ich mir ein Ei nahm, fuhren ihre Augenbrauen zusammen. »Die sind fast pflaumenweich. Das behauptet zumindest dein Vater. Er kann sehr charmant flunkern, ansonsten hätte ich ihn auch nicht geheiratet.«
Es lag mir auf der Zunge zu fragen, ob Daniel auch die halbe Nacht lang wach gelegen hatte, aber dann tat mir meine Mutter leid. Schließlich gab sie wirklich ihr Bestes, um ganz entspannt
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