Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
senkte auch die andere Schattenschwinge ihre Flughöhe, sodass sie nur eine Armlänge von mir entfernt war, jederzeit bereit, mich wie ein Adler zu schlagen.
Als ich die Schattenschwinge erkannte, wusste ich, dass meine Instinkte richtig angeschlagen hatten: Es handelte sich um eine Drohgeste. Oder vielmehr um eine Machtdemonstration.
»Asami«, sagte ich. Obwohl es ein Gruß sein sollte, kam mir der Name eher wie ein Fluch über die Lippen.
Im nächsten Moment glitt Asami zur Seite und ich nutzte den Moment, um mich in die Höhe zu schrauben. Kaum, dass ich mich im Aufwind befand, steuerte ich die Küste an und ließ meinen Flug langsam ausgleiten. Asami folgte mir dicht genug, um mich zu beunruhigen.
Ich landete auf der Steilküste, allerdings ein ganzes Stück von der Stelle entfernt, wo ich das erste Mal in die Sphäre gewechselt war. Denn von diesem Ort wollte ich Asami lieber fernhalten, vor allem nach dem, was ich dort heute Morgen getan hatte. Obwohl ich mich in seiner Nähe mit ausgebreiteten Schwingen sicherer gefühlt hätte, zog ich sie ein, und widerstand auch dem Bedürfnis, mich umzudrehen. Ich würde einen Teufel tun und Schwäche zeigen. Darauf lauerte Asami, seit ich ihm das erste Mal begegnet war.
»Keine besonders schlaue Idee, sich mitten im Flug auf den Rücken zu legen. Es sei denn, man möchte überwältigt werden«, klang seine teilnahmslose Stimme hinter mir auf. Doch ich wusste es besser. Asami trug zwar stets eine gleichgültige Maske zur Schau, aber man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass es darunter mächtig brodelte. Er war wütend. Wütend auf mich. Wenn ich ihn besänftigen wollte, würde ich geschickt vorgehen müssen, auch wenn er mit seinem autoritären Auftreten noch so sehr meinen Widerspruchsgeist reizte.
»Wäre es dir etwa lieber gewesen, wenn ich versucht hätte, dich abzuwehren? Als ob du eine Gelegenheit, mir meine Unterlegenheit vorzuführen, ungenutzt hättest verstreichen lassen. Vermutlich würde ich jetzt im Wasser treiben und nicht wissen, ob noch alles an mir dran ist.« So viel zu meinem Plan, Asami zu besänftigen.
»Samuel, legst du es wirklich derart darauf an, deine Aufsässigkeit unter Beweis zu stellen? Wenn du meine Überlegenheit tatsächlich anerkennen würdest, wäre ich nicht gezwungen, dir deine Position als Neuling in der Sphäre mit solchen Lehrstunden vor Augen zu führen. Dich ständig ermahnen zu müssen, gefällt mir genauso wenig wie dir.«
Langsam schwenkte ich um, bis wir von Angesicht zu Angesicht standen, höchstens eine Armlänge voneinander entfernt. »Da bin ich mir gar nicht so sicher.«
Ungerührt erwiderte Asami meinen Blick mit seinen kohlrabenschwarzen Augen, doch seine kurz ausschlagenden Schwingen verrieten, dass er in Wirklichkeit nicht halb so gelassen war, wie er sich gab. Trotzdem war ich es, der als Erster den Blick niederschlug. Asami war mir überlegen und zwar in so mancherlei Hinsicht. Er war nicht nur der Erste Wächter unter den Schattenschwingen und eine halbe Ewigkeit alt, sondern auch eine wahre Kriegernatur, die alles in Stark und Schwach einteilte. Ich war schwach, weil ich nach wie vor noch wenig über meine Fähigkeiten als Schattenschwinge wusste und mich außerdem menschlich benahm. Beides war für Asami ungefähr gleich unerträglich.
Verärgert über meine Unfähigkeit, mich ihm als ebenbürtig zu erweisen, ging ich bis zur Abbruchstelle der hoch über dem Meer aufragenden Felsenwand. Unter meinen bloßen Fußsohlen bröckelte das Gestein. Nachdem ich Milas Jacke von meinem Unterarm abgewickelt hatte, schlüpfte ich hinein. Mir war zwar trotz der rauen Brise nicht kalt, aber es fühlte sich gut an, etwas auf der Haut zu tragen, das so vertraut nach Mila duftete. Während ich meine Hände in den Taschen vergrub, stieg eine Wärme in mir auf, die mich Asamis Nähe vergessen ließ.
Doch so einfach konnte man Asami nicht loswerden.
Erneut stellte er sich viel zu dicht in meine Nähe, sodass ich fast zwangsläufig den Wunsch verspürte, ihn mit einem Griff über den Grat zu befördern, bloß um Abstand zwischen uns zu bringen. Asami hatte die Kunst, Grenzen auszureizen, wirklich perfektioniert. Genervt musterte ich ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Er war fast auf Augenhöhe mit mir, das schwarz glänzende Haar im Nacken zusammengebunden und mit einem Körperbau, dessen schmale Gliedmaßen einen leicht über seine Kraft und Schnelligkeit hinwegtäuschen konnten. Er neigte dazu, still zu verharren,
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