Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Vorfreude auf Sam. Wie immer war es gar nicht so einfach gewesen, Lena loszuwerden. Aber ich hatte mich einfach jedes Mal, wenn sie mir den gemeinsamen Nachmittag im Stall schmackhaft machen wollte, nach dem verdächtigen silbrigen Aufblitzen in Julius’ Mund erkundigt. Ob es ihr gelungen war, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wollte sie mir dann lieber doch nicht verraten. Am Schluss war sie sogar richtig froh gewesen, mich für ein paar Stunden los zu sein.
Obwohl kaum eine Brise ging, war am Hafen einiges los, sodass ich von Rezas Fahrrad absteigen und es schieben musste. Kurz wanderten meine Gedanken zu meinem alten Bike, das nach wie vor im Keller von Sams Schwester Sina stand. Erleichtert lächelte ich, denn dieser Gedanke konnte mir nicht länger etwas anhaben. Das ramponierte Bike war seit meinem Geburtstag kein Symbol mehr dafür, Sam verloren zu haben.
Die Möwen versuchten den Touristen, die auf die Rückfähre zur Insel Fernogg warteten, Leckereien abzuluchsen. Ein Großsegler hatte gerade nach seiner Tagestour festgemacht und spuckte einen Schwall angeheiterter Menschen aus, die es den Surfern, die die aufkommende Flut nutzen wollten, schwer machten, mit ihren Brettern einen Weg durch die Menge hin zur Surfschule zu finden. Sogleich kam die Sorge in mir auf, dass Sam bei einem solchen Trubel vielleicht nicht würde kommen können. Ein geflügelter Junge, der dem Hafenbecken entsteigt, war wohl kaum zu übersehen.
Nachdem ich mein Fahrrad angeschlossen hatte, schulterte ich den schweren Rucksack und hielt auf unser Segelboot zu, das seinen festen Platz abseits des allgemeinen Geschehens hatte. Mein Vater schaute sich das Kommen und Gehen der Schiffe zwar gerne an, aber ihm war es wichtig, dass sein Segelschiff ein wenig versteckt lag, weil ansonsten zu oft Neugierige von der liebevoll restaurierten Wilden Vaart angezogen wurden. Und mit neugierigen Leuten hatte mein Vater es an der Uni bereits genug zu tun.
Weiterhin darüber sinnierend, ob Sam wohl erst mit der Dämmerung kommen würde, lief ich über den Steg. Kaum betrat ich das Boot, da streifte mich eine Berührung, als wolle mich jemand willkommen heißen. Nur war niemand zu sehen, der mich hätte berühren können. Ich brauchte nicht lange nachzudenken, woher ich dieses Gefühl kannte - Sam war mir schon einmal auf diese Weise nahegekommen. Einen Augenblick später fand ich ihn im zum Meer gerichteten Cockpit vor, im Sonnenschein auf den Bodenplanken sitzend. Von seinen Haarspitzen tropfte ihm Wasser auf die nackten Schultern und er hatte sich eins von unseren Badetüchern um die Hüften gewickelt. Seine nasse Kleidung hing zum Trocknen über die Reling. Ich konnte nicht anders, als dazustehen und ihn anzustarren.
»Hi, Mila«, begrüßte Sam mich leicht verhalten. »Ich dachte, es wäre das Klügste, in der Nähe eures Boots zu wechseln und danach schön brav im Wasser zu bleiben. Das hat zwar ganz gut geklappt, aber dafür bin ich klatschnass geworden. Ich weiß zwar, wo der Schlüssel zur Kabine versteckt ist, aber ich wollte mir nicht einfach ein paar Klamotten ausleihen.«
Immer noch machte Sam keine Anstalten, aufzustehen und mich in den Arm zu nehmen. Es brauchte einen Augenblick, bis ich begriff, dass ich ihn mit meinem Starren nicht nur in Verlegenheit brachte, sondern dass er sich, nur mit einem Handtuch bekleidet, unwohl fühlte. Hastig lief ich auf ihn zu und hielt ihm den Rucksack hin.
»Ich habe dir ein paar Teile von Rufus mitgebracht, nur die Jeans sind von meinem Vater, weil ihr ungefähr gleich groß seid.« Als Sam das hörte, presste er seine Lippen hart aufeinander. »Ich weiß, das ist nicht ideal«, beschwichtigte ich ihn. Mit so einer Reaktion hatte ich gerechnet. »Aber möchtest du lieber in Hochwasser-Hosen von Rufus durch die Gegend laufen? Die Jeans sind übrigens eine echte Antiquität von unserem Dachboden, die abgewetzten Stellen sind hart erarbeitet. Noch aus Daniels Studentenzeit.«
»Dein Vater wird mich häuten, falls er mich jemals in seinen Hosen erwischen sollte. Das ist dir schon klar, oder?«
Leider lag er in dieser Hinsicht richtig, also setzte ich mich hin und sagte: »Ich warte hier oben auf dich.«
Schon ein paar Minuten später stellte ein angezogener Sam sich vor mich hin und drehte sich einmal um seine Achse. »Einverstanden?«, fragte er mit einem Grinsen.
Einen Moment lang hing mein Blick an dem unvollendeten Bannspruch auf seinem Unterarm, der sich flammendrot von der gebräunten
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