Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Bedeutung für dich ist?«
»Weil es dem Ersten unter den Wächtern nicht gefällt. Asami hat mir heute unmissverständlich deutlich gemacht, was er von meinem Wechsel hält. Als ihm klar geworden ist, dass ich dich sogar mit in die Sphäre genommen habe, hat er fast die Beherrschung verloren.«
»Kann dieser Asami dir das denn verbieten?«
»Verbieten ist vielleicht nicht das richtige Wort. Die Wächter sind so etwas wie große Geschwister, die auf einen aufpassen. Sie sagen einem, wo es langgeht, und wenn man nicht gehorcht, dann schnappen sie sich einen.«
»Du meinst, dann gibt es Ohrfeigen?«
Unwillkürlich betastete Sam seine geschundene Wange. »Ich bin mir nicht sicher, ob es unbedingt bei Ohrfeigen bleibt, vielleicht liegt es auch am jeweiligen Wächter. Ich werde mich jedenfalls nicht noch einmal von Asami schlagen lassen. Zumal er gar nicht mein Wächter ist.«
»Aber du hast einen Wächter?«
Sam setzte sich neben mich und legte seine Arme auf den angewinkelten Knien ab. Obwohl mir meine offensichtliche Bedürftigkeit peinlich war, rückte ich sofort näher und schmiegte mich an seine Seite. Zuerst reagierte er nicht, doch dann versenkte er sein Gesicht in meinen Haaren und flüsterte ein paar Herzschläge später »Maiglöckchen«. Ich wünschte mir dringender als je zuvor, einen Namen für seinen Geruch zu haben, aber der entzog sich nach wie vor meinem Wortschatz. Vielleicht müsste ich dazu auch eine Dichterin sein. Also gab ich nur ein zärtliches Seufzen von mir.
Als hätte ihm die Geste jene Kraft gegeben, die er brauchte, richtete Sam sich wieder auf. »Ja, ich habe einen Wächter - oder besser gesagt, eine Wächterin. Kastor hat mich zu ihr gebracht, weil er meinte, Shirin könne mir am ehesten von allen Schattenschwingen wegen des Bannspruchs helfen. Deshalb habe ich mich überhaupt nur auf diese Wächter-Geschichte eingelassen.«
Es war Sam deutlich anzusehen, dass ihm diese Entscheidung alles andere als leicht gefallen war. Von jemandem nicht nur abhängig, sondern auch noch dessen Willkür ausgeliefert zu sein, widersprach seiner Lebensgeschichte, in der er schon genug Unterdrückung erfahren hatte. »Ich bin dir sehr dankbar dafür, dass du dich trotzdem auf einen Wächter eingelassen hast und zu mir zurückgekommen bist«, flüsterte ich und kuschelte mich fester an ihn.
»Ich bereue meine Entscheidung ja auch gar nicht.« Als sich seine Schultern schließlich entspannten, ließ auch das Ziehen in meinem Nacken nach, das ich zuvor gar nicht wahrgenommen hatte. »Außerdem teilt Shirin Asamis’ engstirnige Sichtweise nicht. Na ja, ehrlich gesagt, weiß ich nicht so richtig, was Shirin wirklich denkt. Sie ist ziemlich geheimnisvoll, und obwohl ich mich ihr verbunden fühle, weil sie so viel für mich getan hat, ist sie mir immer auch fremd.«
»Was ist diese Shirin denn für eine?«
Sam blinzelte mich verwirrt an. »Wie meinst du das?«
Es war mir wirklich unangenehm, aber während er von Shirin gesprochen hatte, war vor meinem geistigen Auge eine engelsgleiche Gestalt aufgetaucht, deren langes Haar im Wind flatterte. Verführerisch und unnahbar zugleich, also das komplette Gegenteil von mir. »Na, ist sie so der distanzierte Typ oder eher alt und weise?«, antwortete ich ausweichend, in der Hoffnung, dass Sam meine Irritation nicht bemerkte.
»Weder noch. Rein vom Äußerlichen her würde ich sie auf mein Alter schätzen, höchstens zwei, drei Jahre älter. Das hat allerdings wenig zu sagen, so sehen die meisten von uns aus. Das Geheimnis lautet ewige Jugend, eine viel bessere Superkraft als Blitze aus den Augen.« Sam stupste mich mit dem Ellbogen an, doch der Versuch, mich aufzulockern, scheiterte. Mir drehte sich der Magen um. Das Gefühl nennt man wohl Eifersucht, gestand ich mir widerwillig ein. Peinlich, aber wahr.
»Shirin ist schon okay«, versuchte Sam mich unbeirrt zu beruhigen. »Sie ist zwar noch verschwiegener als ein tibetanischer Schweigemönch, aber ohne ihre Hilfe wäre ich jetzt nicht hier - weder gestern noch heute. Obwohl sie alles andere als glücklich über die Tatsache ist, dass ich weiterhin wechsle.«
»Sie möchte nicht, dass du mich triffst, sondern bei ihr in der Sphäre bleibst?«
»Ja«, antwortete Sam unumwunden. Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, zog er überrascht die Augenbrauen hoch. »Das klang jetzt verkehrt«, korrigierte er sich und griff nach meinen Händen. »Shirin will als meine Wächterin einfach nur nicht, dass ich
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