Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
die Sphäre verlasse. Okay, sie hält es für keine wirklich gute Idee, dich in die Sphäre mitzunehmen. Das liegt aber daran, dass die Schattenschwingen nicht allzu Gutes von dieser Welt denken. Die wechseln alle schon seit Ewigkeiten nicht mehr, und haben deshalb einfach den Bezug zu den Menschen verloren. Mehr steckt nicht dahinter, ansonsten hätte Shirin es mir strikt verboten, anstatt sich nur über meine Sturheit zu beklagen.«
Die Erklärung machte Sinn, trotzdem konnte ich mich immer noch nicht beruhigen und Sams suchenden Blick erwidern. Er war monatelang bei dieser Frau gewesen, die nicht nur ebenfalls eine Schattenschwinge war, sondern ihm dabei half, sich selbst besser kennenzulernen. Was hatte ich dagegen schon zu bieten? Ich, eine ganz gewöhnliche Erdenbürgerin, die sich in der Sphäre, an der ihm so viel lang, wie eine Fremde vorkam.
Als ich mich immer noch nicht rührte, seufzte Sam. »Falls du dir wegen Shirin Sorgen machst, kann ich dich beruhigen: Wenn überhaupt, ist sie so etwas wie eine große Schwester für mich. Und dementsprechend schwierig ist es auch manchmal mit ihr. An einem Tag denke ich, alles läuft wunderbar und wir sind einander ebenbürtig, und am nächsten verweist sie mich auch schon wieder auf meinen Platz, weil ich in ihren Augen nichts anderes als ein Trotzkopf bin, der einfach nicht auf sie hören will. Ich bin ihr wirklich dankbar für all das, was ich durch sie erfahren habe, aber nichtsdestotrotz treibt sie mich in den Wahnsinn.«
»Sieht sie aus wie ein Engel?« Fast hätte ich mir die Zunge abgebissen, aber es half nichts, ich musste diese Frage stellen. Selbst wenn ich Gefahr lief, mich vor Sam bis aufs Blut zu blamieren. Was natürlich nicht schwer war, bei seinem feinen Wahrnehmungsraster.
Und punktgenau kam auch schon der Beweis, dass er spätestens jetzt meine Eifersucht durchschaut hatte: Schnell hielt er sich die Hand vor den Mund, um ein Grinsen zu verbergen. Nun blickte ich ihm doch in die Augen, um ihn drohend anzufunkeln. Sam ließ die Hand klugerweise da, wo sie war, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
»Shirin hat schon was von einem Engel, wenn auch als schwarze Ausgabe. Sie ist ziemlich beeindruckend. Weißt du was: Ich werde euch beide ganz schnell miteinander bekannt machen. Dann brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen und sie begreift vielleicht endlich, warum ich mich nicht von dir fernhalten kann.«
»Du willst mich also - Asamis Drohung zum Trotz - weiterhin in die Sphäre mitnehmen?«
Sam nickte. »Bevor ich zu dir gekommen bin, habe ich mit Shirin gesprochen. Sie war alles andere als begeistert darüber, dass Asami sich in meine Betreuung eingemischt hat. Die beiden sind sich nicht gerade grün, denn im Gegensatz zum Ersten Wächter sieht Shirin sich eher als Lehrerin denn als Gefängniswächterin. Während wir beiden hier beisammensitzen, wird sie Asami das wohl gerade auf ihre unnachahmliche Weise deutlich machen. Die Frage ist also viel mehr, ob du trotz allem weiterhin mit mir zusammen die Sphäre besuchen möchtest. Wenn nicht, könnte ich das gut verstehen.«
Ich hörte seiner Stimme die Sorge an, dass ich ablehnen könnte. Einen Moment lang war ich sogar versucht, Nein zu sagen. Die Sphäre erschien mir wie ein Ort, der wunderschön sein konnte, aber eben auch beängstigend, wenn nicht sogar bedrohlich. Doch ich konnte es nicht. Nicht nur wegen Sams unübersehbarer Sehnsucht, mit mir zusammen in der Sphäre zu sein. Sondern auch, weil es mir ganz ähnlich erging: Ich wollte ganz zu Sam gehören und nicht nur ein Zaungast in seinem Leben sein. Auch wenn es mir Angst machte, musste ich wohl akzeptieren, dass es bei allem immer eine dunkle Seite gab. »Ich will dich weiterhin in die Sphäre begleiten«, sagte ich leise und unterdrückte einen Schauer.
»Damit machst du mich glücklicher, als du dir vorstellen kannst.« Sam schenkte mir ein Lächeln, das sowohl froh als auch traurig zugleich war. Dann blinzelte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich glaube, wir beide haben uns jetzt wirklich eine Pause verdient. In deinem Rucksack ist neben den Klamotten auch was zu essen gewesen, wenn ich das richtig gesehen habe.«
Richtig. Auf dem Weg zum Hafen hatte ich extra den Umweg zum Schlachter gemacht, obwohl Sam alles andere als verhungert aussah. Jetzt war ich froh darüber, denn über die ganze Aufregung hatte ich seit Stunden nichts gegessen. Außerdem gefiel mir die Vorstellung, mit Sam zu grillen und für eine
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