Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Hippiemutter lebten wir in einem schlüsselfreien Haushalt - und trat in eine Wasserdunstlandschaft. Hinter dem beschlagenen Duschglas sah ich die Silhouette meines Bruders, die gleichzeitig mit mir nach der Kabinentür griff. Ich war schneller und riss die Tür auf. Nebelschwaden schlugen mir entgegen.
»Spinnst du? Mach wieder zu, das ist schweinekalt.« Rufus’ Stimme klang verwirrend heiser. Er griff nach der Tür und wollte sie mit Gewalt zuziehen, aber ich ließ nicht locker.
»Du bist hier nicht der einzige Mensch, der sich fertigmachen will. Also, raus jetzt.«
Rufus rangelte noch kurz mit mir, aber offensichtlich brachte er nicht ausreichend Energie auf, um mich wirklich loszuwerden. Schimpfend stellte er das Wasser ab und schnappte sich das Handtuch, das ich ihm hinhielt. »Kann ich mich hier wenigstens noch in Ruhe anziehen? In meinem Zimmer ist es mir zu kalt.«
»Nein, kannst du nicht.« Demonstrativ riss ich das Fenster auf. Rufus funkelte mich aus rot unterlaufenen Augen an. »Was hast du da am Hals?«, fragte ich ihn und deutete auf die beiden münzgroßen Blutergüsse.
Es brauchte einen Moment, bis meine Frage ihren Weg durch Rufus’ verkorkste Gehirnwindungen gefunden hatte, dann schnellte er herum und wischte mit dem Handtuch den Dunstfilm vom Spiegel. Während er die Knutschflecke von allen Seiten begutachtete, tropfte er den Boden voll. Ich würde achtgeben müssen, damit ich mir später nicht das Genick in dieser Pfütze brach.
»Hat Julia dir ihr Zeichen aufgedrückt, damit du als ihr Besitz gekennzeichnet bist?« Ich konnte ein Kichern nur mühsam unterdrücken.
Statt einer Antwort begann Rufus an seinem Daumennagel zu knabbern, den Blick immer noch fest auf sein Spiegelbild gerichtet.
»Das war gar nicht Julia, richtig? Bist du gerade erst nach Hause gekommen?«
Rufus schlang sich das Handtuch um die Hüften und ging in sein Zimmer, ohne mich weiter zu beachten. Ich folgte ihm trotzdem. Er stellte das Radio an und stieg in seine Jeans, griff sich ein T-Shirt und setzte sich auf das gemachte Bett.
»Du fliegst allein schon deshalb auf, weil Mama im Leben nicht glauben wird, dass du dein Bett selbst gemacht hast.«
»Ich bin zufällig volljährig, schon vergessen? Ich kann machen, was ich will.«
»Und was genau hast du gemacht?« Rufus wrang das T-Shirt in seinen Händen, als wolle er ihm den Hals umdrehen. »Na komm schon, erzähl es mir. Dann leihe ich dir auch ein Halstuch für deine Schandmale. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob man den oberen verstecken kann. Den hat deine neue Freundin dir wirklich gut gesetzt.«
»So ein Scheiß, verflucht.« Rufus ließ sich auf den Rücken fallen. »So war das eigentlich nicht geplant. Wir wollten nur ein wenig um die Häuser ziehen, schauen, wie die Stimmung ist. Am Strand war dann auch gut was los. Irgendwie bin ich versackt. Lagerfeuer, Freibier, die Nacht war richtig mild. Ich weiß auch nicht.«
Ich konnte es mir lebhaft vorstellen, der Feiertag zog immer jede Menge junge Leute von überall her an. Sie zelteten wild am Strand und hinterließen, wenn sie schließlich wieder abreisten, eine Spur der Verwüstung. »War Sam auch dabei?«
Rufus richtete sich wieder auf. »Hast du zufällig noch etwas anderes im Kopf außer Sam?« Ich blinzelte verlegen, während mein Bruder sich endlich das T-Shirt über den Kopf zog. »Nein, dein geliebter Sam war nicht dabei. Was ich ordentlich daneben fand, denn eigentlich waren wir für den Abend verabredet. Aber er hat was mit dem Knie und kann wohl kaum laufen. Ich wette, bis heute Nachmittag hat er sein kaputtes Knie bereits wieder vergessen. Ihr trefft euch doch, nicht wahr?«
Obwohl es mir schwerfiel, hielt ich Rufus’ anklagendem Blick stand. Er sah als Erster weg, stand auf und nahm einen Bilderrahmen von der Wand, in dem eine Sporturkunde steckte. Brummend betrachtete er in der spiegelnden Glasfläche erneut die Blutergüsse an seinem Hals. »Reza wird mir dafür den letzten Nerv rauben, vor allem, wenn Julia wieder einmal ausflippt und vor unserer Haustür Protestzelten macht. Dieses Mal wird sie bestimmt darauf bestehen, dass ich mich beim Arzt durchchecken lasse.«
»Julia oder Mama?«
Rufus verdrehte die Augen. »Reza natürlich. Julia ist viel zu dämlich, um auf solche Ideen zu kommen.«
»Wie wäre es dann, wenn du dir zur Abwechslung mal eine Freundin suchen würdest, die dir das Wasser reichen kann?«
»Julia ist nicht meine Freundin.«
Ich zeigte meinem Bruder mit einer
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