Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Trubels aufregten oder ihm entspannt zusahen, und jede Menge junge Leute. Allein auf dem Weg durch die Amüsiermeile, die auf den Strand zuführte, war ich fast meinem halben Jahrgang begegnet. In einem der Straßencafés saß schließlich Luca mit den Typen aus seiner Band. Als er mich sah, sprang er winkend auf. Zögernd maß ich die Strecke zwischen uns ab. Wie sollte ich ohne Schmerzensschrei durch dieses Gewühle durchkommen? Das Knie konnte ich inzwischen zwar wieder belasten, ohne aufzukeuchen, aber mein rechter Arm war zu nichts zu gebrauchen. Ich hielt ihn vor der Brust angewinkelt, in der steten Sorge, dass jemand dagegenstoßen könnte.
In der Nacht hatte ich vor Schmerzen und Albträumen kaum ein Auge zugemacht. Vielleicht aber auch vor Nervosität wegen meiner Verabredung mit Mila. Das widerliche Prickeln, das seit Stunden das Narbengeflecht auf meinem Unterarm erfüllte, versuchte ich unterdessen nach Kräften zu ignorieren, obwohl es nichts anderes bedeutete, als dass sich etwas Ungutes zusammenbraute. Solche düsteren Ahnungen konnte ich heute gar nicht gebrauchen, dafür war dieser Nachmittag zu wichtig. Falls mein Vater sich gerade danach sehnte, mir eine Abreibung zu verpassen - sein Problem. Ich würde mich einfach vom Hafen fernhalten und auf der Promenade würde er sich ganz bestimmt nicht blicken lassen, so gut kannte ich ihn. Heute wollte ich nichts anderes tun, als das Band zwischen Mila und mir zu stärken.
»Hey, Sam! Warte mal, bleib doch stehen. Willst du dich nicht zu uns setzen?«
Lucas leicht raue Stimme riss mich aus den Gedanken und ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er mir hinterher gelaufen und ich einfach weitergegangen war. Gut, dass Luca nicht gerade zu den empfindlichen Seelen gehörte. Ich schaute auf meine Uhr. Es war erst kurz nach vier Uhr und eigentlich mochte ich Lucas Freunde. Aber heute hatte ich einfach nicht den Nerv, mir Fachgespräche über Verstärker anzuhören. »Ich bin unten am Strand verabredet«, antwortete ich deshalb ausweichend.
»Mit Rufus? Den kannst du heute komplett vergessen. Glaub mir, Alter.«
»Warum das denn?«
Luca fuhr sich mit der Hand über seinen Dreitagebart und grinste dabei. Nun, das war deutlich.
»Was hältst du davon, wenn ich dich begleite? Die Jungs von der Band sitzen hier bestimmt noch bis zum Abend rum, die sind jetzt schon so breit, die bekommen ihren Hintern auf keinen Fall hoch, bevor nicht irgendwer Ordentliches Mucke am Strand macht. Bislang ist da ja nur Akustikgitarre angesagt.«
»Eigentlich treffe ich mich mit Mila.«
»Du meinst Rufus’ kleine Schwester, richtig? Chris hat da schon was erwähnt.« Mit einem Mal wirkte Luca nicht mehr halb so locker. Von den drei Jungen in meinem engeren Freundeskreis war er der Umsichtigste. Er mochte keinen Stress und kein Gezanke. Außerdem war er nicht für Tratschgeschichten zu haben. Abwägend blickte er mich an. »Ist es ein Allein-sein-Treffen oder eher nur so?«
Ich musste grinsen. »Eigentlich sind nur Mila und ich verabredet, aber das mit dem Alleinsein dürfte heute wohl schwierig werden, so brechend voll wie das hier ist.«
Kaum hatte ich das gesagt, da rempelte mich einer dieser unzähligen Beachball-Kerle an, die jedes Jahr pünktlich zum Frühlingsfest in St. Martin einfielen. Einen Augenblick lang wurde mir vor Schmerzen schwarz vor Augen. Ich spürte Lucas Hand auf meinem Oberarm und obgleich es mir unangenehm war, ließ ich seine Hilfe zu. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, steckte er die Hände in die Hosentaschen und stellte sich wie ein Bollwerk zwischen mich und den Menschenstrom. Er scannte meinen Körper ab, als könnte er weitere Verletzungen unter meiner Kleidung erkennen, wenn er es nur wollte. Aber er sagte nichts dazu. Keiner meiner Freunde hatte je ein Wort über die unzähligen Blessuren verloren, mit denen ich im Lauf der Jahre rumgelaufen war. Es hatte mich auch nie jemand auf meinen Vater angesprochen und auf die Dinge, die er mir antat. Normalerweise war ich stets froh über ihre Zurückhaltung gewesen, aber jetzt störte sie mich. Als wäre meine Familiengeschichte ein Makel, über den man besser den Mantel des Schweigens ausbreitete. Als wäre ich für immer ein Opfer, wenn nur einer von ihnen aussprach, dass mein Vater mich misshandelte. Misshandelt hatte, korrigierte ich meinen eigenen Gedankengang, denn ich würde bestimmt nicht noch einmal zulassen, dass Jonas Hand an mich legte.
»Ich war so dämlich, mich mit
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