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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Toilette übergeben und starrte dann auf die Lache, als könne er nichts damit anfangen.
    »Okay, komm ein wenig zur Seite und lass mich nachsehen, ob alles an dir so ist, wie es sein sollte.«
    Rufus schenkte mir einen Blick, als wisse er nicht, wovon ich überhaupt redete, aber er folgte mir. Als er sich bewegte, sah ich, dass er sowohl Arme als auch Beine einsetzen konnte, ohne dass ihn ein Schmerz daran hinderte. Das beruhigte mich etwas. Seine Windjacke war an der Schulter blutbeschmiert. Am ausgeleierten Saum des T-Shirts entdeckte ich eine weitere Blutspur. Etwas an den beiden blutigen Streifen störte mich, aber ich konnte nicht sagen, was es war. Vermutlich hatte Rufus sich einfach an die Stirn gefasst und seine Finger an den Klamotten abgewischt.
    »Sam«, sagte Rufus, als koste es ihn alle Kraft der Welt, sich auf diesen Namen zu konzentrieren. Seine Finger gruben sich in meinen Oberarm, dass es wehtat.
    »Was ist mit Sam?«
    »Fort?«
    Ich kam mir vor wie ein tönernes Gefäß, in dem sich plötzlich feine Risse ausbreiteten. »Was, zur Hölle, meinst du mit fort? Wo hast du Sam das letzte Mal gesehen? Ist ihm etwas zugestoßen?«
    Doch Rufus sah mich bloß vollkommen durcheinander an, als habe er mir schon nach den ersten Worten nicht mehr folgen können. Obwohl ich am liebsten geschrien und die Antwort aus ihm rausgeschüttelt hätte, zwang ich mich dazu, tief einzuatmen. Mit ruhiger Stimme, und so langsam, wie es mir möglich war, fragte ich: »Wo hast du Sam das letzte Mal gesehen?«
    Erneut stieß Rufus dieses Stöhnen aus, als würde der bloße Versuch, sich zu erinnern, ihm Qualen bereiten. Seine Finger gruben sich tiefer in meine Arme, doch ich ignorierte den Schmerz. Keine Antwort zu erhalten, war schlimmer.
    »An der Steilküste«, brachte Rufus schließlich hervor und lockerte seinen Griff, offensichtlich darum bemüht, sich an das Geschehen zu erinnern. »Wir waren an der Steilküste, an Sams Lieblingsstelle, wo die Felsen aus dem Wasser rausragen. Wir haben da rumgesessen und uns unterhalten und dann …« Rufus’ Gesicht versteinerte sich, als wäre alles Leben aus seinem Körper gewichen.
    »Was war dann? Habt ihr euch gestritten oder irgendein dämliches Spielchen am Grat veranstaltet?« Mir stiegen Tränen in die Augen, eine dumme und nutzlose Reaktion, die mich wütend machte. Und Wut fühlte sich deutlich besser an als die Panik, die sich in mir auszubreiten drohte. Als Rufus immer noch nicht reagierte, hob ich die Hand und verpasste ihm eine Ohrfeige. Sein Kopf flog zur Seite. Wie in Zeitlupe richtete er sich wieder auf und blickte mich erstaunt an.
    »Was ist an der Steilküste passiert?«
    Rufus’ Lippen bewegten sich, doch es kamen keine Worte hervor. Sein ganzer Körper begann unkontrolliert zu zittern. Ich wollte aufspringen und Hilfe holen, da sagte er: »Da war jemand anderes.« Rufus versuchte seine bebenden Beine auf den Boden zu drücken, doch es gelang ihm nicht, sie ruhig zu stellen. »Sams Vater … und er hatte etwas in der Hand.«
    Ungläubig starrte ich meinen Bruder an.
    »Sams Vater hatte ein Messer dabei.«
    »Und dann? Was ist mit Sam passiert? Hat sein Vater ihm etwas angetan?«, fragte ich und merkte, wie mich Panik überkam.
    Aber Rufus schüttelte nur den Kopf. »Ich weiß es einfach nicht. Es ist, als hätte ich ab dem Moment einen totalen Filmriss. Und dabei hatte ich kaum was getrunken.« Er stöhnte wie von Schmerzen gepeinigt auf.
    Ich sah ein, dass ich im Moment nichts Weiteres aus Rufus rausbekommen würde. Also beugte ich mich vor und gab meinem Bruder einen Kuss auf die Wange, die nach Blut und Tränen schmeckte. Dann lief ich in das Schlafzimmer meiner Eltern und weckte sie. Während mein Vater Rufus in sein Bett brachte und meine Mutter den Notarzt anrief, zog ich mich in meinem Zimmer an.
    »Ich warte unten, damit ich den Arzt gleich reinlassen kann«, erklärte ich meinem Vater, als der ins Zimmer gestürmt kam, um sich meine Bettdecke zu holen.
    »Er steht unter Schock.« Mein Vater hatte hektische Flecken auf den Wangen. »Was ist nur passiert?«
    »Sams Vater hat sie mit einem Messer in der Hand oben bei der Steilklippe gestellt. Rufus sagt, er weiß nicht, was ab da passiert ist. Soll ich die Polizei anrufen?«
    Mein Vater nickte, bevor er in Richtung Rufus’ Zimmer lief.
    Ich wählte die Nummer der Polizei an und erzählte der Dame am Telefon, um Fassung bemüht, meine Geschichte. Dann öffnete ich dem Notarzt die Haustür und erklärte ihm

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