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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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den Weg zu Rufus’ Zimmer. Während er die Treppen hochsprintete, machte ich mich auf den Weg zu unserer Garage. Mein kaputtes Fahrrad stand zwar noch bei Sam, aber mein sportbegeisterter Vater hatte auch meine Mutter mit einem Mountainbike beglückt, und sie war nur etwas kleiner als ich. Damit würde ich problemlos fahren können. Bevor ich das Tor aufstieß, holte ich noch eine Taschenlampe aus dem Regal und steckte sie in meine Jackentasche. Dann fuhr ich los.
    Die Laternen auf den Straßen waren noch an, was auch gut war, denn die bevorstehende Dämmerung hatte die letzten Sterne gebannt. Die Frühlingsnacht war kühl und legte sich auf meine brennenden Wangen. Auf der Amüsiermeile in Richtung Strand waren immer noch einige Feierwütige unterwegs, doch ich beachtete sie nicht weiter. Mein Kopf war vollkommen leer, ich spürte nichts, dachte an nichts. Ich kümmerte mich ausschließlich darum, das Fahrrad voranzutreiben, nicht im Tempo nachzulassen, selbst als aus dem Spazierweg, der die Steilküste hochführte, ein Trampelpfad wurde. Als auch dieser endete, ließ ich das Fahrrad einfach liegen und lief, so schnell mein atemloser Körper es zuließ, durch die sich langsam aufhellende Dunkelheit bis zum Grat. Ein rascher Blick in die Tiefe zeigte, dass ich ein Stück weiterlaufen musste, denn unter mir wand sich noch der Sandstrand. Mehr stolpernd als gehend erreichte ich schließlich die Stelle, an der die Felsen dem Strand ein Ende bereiten und sich zugleich dem Wasser entgegenstemmen.
    In einer Mulde waren die Reste eines runtergebrannten Lagerfeuers auszumachen. Der Schein meiner Taschenlampe brachte außer dem aufgewühlten Boden und einige Flecken, die Blutspritzer sein mochten, nichts anderes zum Vorschein. Langsam, als würde mich eine unsichtbare Macht zurückhalten wollen, näherte ich mich dem Grat. Unter mir brachen sich die Wellen an den aufragenden Klippen. Oben auf dem grauen Steingrund des Grats, bedeckt von einer feinen Sandschicht, lag etwas. Ich erstarrte. Es sah aus wie die obersten zwei Glieder eines Fingers, den jemand schräg abgeschlagen hatte. Der Lichtpegel der Taschenlampe zitterte, als ich mich herunterbeugte und den Nagel wiedererkannte: Der Mond war wunderschön ausgeprägt.
    Ich warf die Taschenlampe über den Grat hinab ins Meer. Von hier konnte man nicht hören, wie sie auf den Klippen aufschlug. Aber vielleicht versank sie auch im Meer. Hoffentlich.
    So blieb ich sitzen und verfluchte das sich ausbreitende Morgenlicht. Ich wollte Dunkelheit, wollte nichts, was mich ablenkte. Ich tastete tief in mir drin nach einem Zeichen, dass Sam irgendwo dort draußen war. Als müsse er mir antworten, wenn ich nur fest genug an ihn dachte. Doch er antwortete nicht.

13
    Glaubensfrage
    Was dort auf dem Grat gelegen hatte, war ein Stück von Sams kleinem Finger gewesen. Dass es tatsächlich Sams war, ebenso wie die Spitze eines Ringfingers, die die Polizei im Sand ebenfalls gefunden hatte, und wie auch das Blut, das an dem sichergestellten Messer und an Rufus’ T-Shirt klebte, stellte sich einige Tage später als Gewissheit heraus. Es waren die letzten Spuren, die Sam hinterlassen hatte, obgleich die Küstenwache tagelang unterwegs gewesen war, um ihn zu suchen. Die Klippen, sagte man. Die Strömung.
    Ich hörte all das und ich hörte es auch wieder nicht. Macht ihr nur, dachte ich mir. Sucht ruhig nach ihm. Aber ihr sucht am falschen Platz, denn Sam ist nicht fort, ihr findet ihn bloß nicht. Mir erging es da allerdings nicht besser: Ich wartete auf ein Zeichen von ihm, auf eine heimliche Nachricht, doch es kam nichts. Auch für mich war Sam verschwunden. Wenn ich nicht so fest daran geglaubt hätte, dass Sam viel zu besonders war, um sich von seinem vom Suff verrückt gewordenen Vater umbringen zu lassen, wäre ich schlicht zusammengebrochen.
    Meine Mutter schloss mich immer wieder in die Arme und flüsterte mir ins Ohr, was für ein tapferes Mädchen ich doch sei. Ich ließ es zu und schwieg mich aus. Hätte ich ihr meine geheime Überzeugung anvertraut, wäre der Zauber sofort zerbrochen. Nur ich wusste, dass Sam zwei Gestalten in sich trug: die des Jungen, der mich am Strand geküsst hatte, und jene strahlende Gestalt, die ich als Elfjährige zum ersten Mal gesehen hatte. Dieses Strahlen, da war ich mir ganz sicher, hatte Sam davor bewahrt, wie ein normaler Sterblicher über den Klippenrand zu stürzen und unter den Wellen begraben zu werden. Aber selbst meine Mutter hätte mich für

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