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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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keineswegs für mich allein erschaffen worden. Es gab zumindest noch eine weitere Seele.
    Langsam hob ich den Blick.
    Ein Stück von mir entfernt saß ein junger Mann auf einem Felsen seitlich eines Wasserlaufs und sah mich abwartend an. Wenn er zuvor nicht etwas zu mir gesagt hätte, hätte ich ihn für eine Statue gehalten, so reglos, wie er in der Dunkelheit saß. Für eine dieser Figuren in Denkerpose, wie die alten Griechen sie geliebt haben. Vermutlich kam mir dieser Vergleich wegen seiner klassischen Gesichtszüge, den kurzen schwarzen Haaren, oder schlicht deshalb, weil er so ziemlich unbekleidet dasaß. Nicht, dass ich damit ein Problem gehabt hätte, aber ich konzentrierte mich dann doch lieber auf sein Gesicht, das keinerlei Regung verriet, während ich ihn musterte. Was schade war, denn im Gegensatz zu den Normalsterblichen konnte ich diesen Mann nicht »lesen«. Die Informationen über meine Mitmenschen, mit denen ich stets versorgt worden war, blieben mir bei ihm verwehrt. Allerdings war mir diese Gabe stets unangenehm gewesen, vor allem, weil sie mir immer wieder vor Augen geführt hatte, dass die meisten Menschen in meiner Nähe wie gebannt waren.
    »Was ist da draußen auf dem Meer passiert?«, fragte ich vorsichtig, weil mein Gegenüber immer noch keinerlei Anstalten machte, das Schweigen zu brechen.
    »Du hast dich allem Anschein nach aufgemacht, die vernichteten Gebiete der Sphäre zu erkunden. Bist du lebensmüde oder hat dein Wächter vergessen, dich darauf hinzuweisen, dass auch die Ränder der vom Krieg verbrannten Stellen mehr als gefährlich sind, wenn man sich nicht in ihnen auskennt?«
    Ich blinzelte, denn ich hatte kein Wort begriffen.
    Nun kam doch Leben in das Gesicht dieser Statue: eine Mischung aus Verwunderung und Unglauben. Offenbar hatte er noch nicht entschieden, ob er mir meine Ahnungslosigkeit wirklich abnehmen sollte. »Ich bin Kastor«, begann er, jedes Wort in die Länge ziehend, als wolle er Zeit schinden. »Und du bist?«
    »Samuel.«
    »Samuel, ein schöner alter Name.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Mag sein, aber Sam reicht eigentlich aus.«
    Kastor runzelte die Stirn, als könne er mit der Abkürzung nichts anfangen, vielleicht mochte er aber bloß auch keine Anglizismen. Nachdenklich beugte er sich zum Wasser hinunter und ließ es über seine ausgestreckten Finger tanzen. Dabei blitzten kurz schwarze Tuscheschlieren auf seinem Schulterblatt auf. Schwingen waren das, eingezogene Schwingen, genau wie meine, begriff ich. Ich hatte mir fast den Rücken verrenkt, als ich die schwarzen Zeichnungen vor Kurzem bei mir entdeckt hatte. Unwillkürlich entfuhr mir ein überraschtes »Oh«, woraufhin Kastor sich wieder aufrichtete und mich nachdenklich ansah. Es kostete mich einiges, um nicht unruhig auf meinem Hintern herumzurutschen. Tausend Fragen schossen mir gleichzeitig durch den Kopf, aber dieser Kastor erweckte nicht gerade den Eindruck, als wenn er bereit wäre, sich von mir aushorchen zu lassen. Es sah vielmehr ganz danach aus, als würde er bei dem anstehenden Verhör der Federführende sein.
    Schließlich schüttelte er den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Auch auf die Gefahr hin, mich zu blamieren: Du bist doch wohl nicht gerade erst in der Sphäre angekommen, oder?«
    »Kommt drauf an, was du mit ›gerade‹ meinst«, erwiderte ich ausweichend.
    Obwohl sich das Lachen immer noch in seinen Augen spiegelte, wurde seine Stimme mit einem Schlag entschieden ernster. »Wer ist dein Wächter?«
    Das Wort »Wächter« gefiel mir gar nicht. »Stellst du die Frage bloß aus höflichem Interesse?« Okay, das war ein Bluff, aber ich wollte als der Neuling, der ich unleugbar war, nicht als Erstes einen Wächter zugeteilt bekommen. Das hier war mein Paradies, ich würde es mir nicht einfach rauben lassen.
    »Ich wollte dich nicht verunsichern. Die Bezeichnung ›Wächter‹ ist wohl etwas missverständlich.« Ja, ich war mit meinem Ausweichmanöver gescheitert. »Gemeint ist damit eine ältere Schattenschwinge, die sich um die neu Angekommenen kümmert, ihnen erklärt, wer sie sind und was die Sphäre ist. Insofern das überhaupt jemand wirklich weiß. Jedenfalls hätte dich dein Wächter sehr schnell auf die gefährlichen Gebiete der Sphäre aufmerksam gemacht.«
    »Ein Wächter ist eine Art Lehrer?«
    »So was in der Art.«
    Kastor hatte ein Stück des Felsbrockens, auf dem er saß, losgelöst und betrachtete ihn eingehend. Er bewegte ihn zwischen seinen Händen wie

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