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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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mir von ihrer Natur her näher waren, als meine menschliche Familie es je gewesen war? Letztendlich war es jedoch eine andere Überlegung, die mich dazu brachte, zu Kastor zurückzukehren: Er kannte die Grenze zwischen Menschenwelt und Sphäre nicht nur, er wusste offensichtlich auch, wie man sie überwinden konnte. Wie ein unerwartet heftiges Fieber stellte sich die Hoffnung ein, Mila wiederzusehen. Zu lange hatte ich den Gedanken an sie von mir gedrängt, unfähig, mich diesem Verlust zu stellen, der mir vollkommen unwiderruflich vorgekommen war.
    Als ich auf der kleinen Lichtung beim Wasserlauf landete, saß Kastor nach wie vor auf dem Felsen. Zu meiner Erleichterung wirkte er froh über meine Rückkehr und kein bisschen so, als würde er mich gleich in Gewahrsam nehmen.
    »Was hältst du von einem Tauschgeschäft?«, testete ich vorsichtig an. »Du erzählst mir, wie man diese Grenze zwischen Welt und Sphäre überwindet, und ich erzähle dir im Gegenzug von meinem Wechsel hierher. Vielleicht lässt sich das Rätsel um meinen unbemerkten Eintritt dadurch ja besser lüften.«
    Kastor sprang vom Felsen und begann ein paar Schritte auf und ab zu laufen, weshalb ich zwangsläufig den Blick zum Sternenhimmel hochwandern ließ, weil ich leider nicht halb so locker mit seiner Nacktheit umgehen konnte wie er selbst. Dann blieb er mit einem Mal vor mir stehen und hielt mir die Hand hin.
    »Einverstanden«, sagte er und ich beeilte mich einzuschlagen. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das ein guter Tausch für dich ist. Bei deinem ersten Wechsel ist ganz offensichtlich ein Fehler unterlaufen. Wenn ich richtig tippe, ist das auch der Grund, warum du bislang nicht aus eigener Kraft in die Menschenwelt zurückgegangen bist. Du kannst es nicht mehr, richtig?« Frustriert schnappte ich nach Luft, während Kastor besänftigend die Hände hob und rasch weitersprach: »Nun gut, dein künftiger Wächter wird zwar alles andere als erfreut darüber sein, dass ich dir vom Wechseln erzählt habe, bevor er dich überhaupt unter seine Fittiche genommen hat, aber, was soll’s. Wie wir wechseln, ist eigentlich auch kein Geheimnis, wir tun es nur einfach nicht. Die Menschenwelt ist schon lange kein Ort mehr, den wir aufsuchen. Und da es dir allem Anschein nach unmöglich ist, zerschlage ich hier vermutlich ohnehin nur kaputtes Geschirr. Nun mach nicht so ein Gesicht, vielleicht täusche ich mich ja.«
    Selbstverständlich täuschst du dich, hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Doch ich riss mich zusammen. Es war einfach zu wichtig, dass Kastor mir erklärte, wie ich zu Mila zurückkehren konnte. Über alles andere konnte ich mir später noch den Kopf zerbrechen.
    »Jede Schattenschwinge trägt ihre ganz persönliche Pforte in sich, die nur sie alleine nutzen kann - bei dem einen ist es eine bestimmte Heuwiese, bei einem anderen die Granitplatte in einer Felsenwand. Es sind Verbindungen zwischen der Sphäre und der Menschenwelt. Dir ist doch sicherlich schon aufgefallen, dass die Sphäre eine Spiegelung der Menschenwelt ist, mit dem Unterschied, dass die Schattenschwingen ihre Umgebung auf eine andere Weise geprägt haben als die Menschen.«
    »Hier ist alles vollkommen ursprünglich, von ein paar alten, halb überwucherten Ruinen einmal abgesehen. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, dass es außer mir noch jemanden gibt.«
    Ein bitterer Zug schlich sich auf Kastors Gesicht. »Ja, die Sphäre ist sehr ursprünglich, zumindest der kleine Teil, den wir von ihr übrig gelassen haben.« Ehe ich nachhaken konnte, kehrte Kastor zu unserem ursprünglichen Thema zurück. »Damit eine Pforte funktioniert, muss es sie an beiden Orten geben. Wenn die Menschen deine Heuwiese also in einen Acker verwandelt haben, sieht es schlecht aus für dich. Könnte das dein Problem sein, existiert deine Pforte drüben nicht länger?«
    Ich dachte an das Meer vor der Küste St. Martin, das seit meiner frühsten Kindheit zu mir gesprochen hatte. An das verheißungsvolle Blaugrün, das mit tosender Kraft voranpreschte. Instinktiv wusste ich, dass das Meer meine Pforte war, aber wie konnte sie dann verschlossen sein? Es muss also mit der Art meines Wechsels zusammenhängen, dort musste das Problem liegen. Also zwang ich mich dazu, nach den richtigen Worten zu suchen. Ich wollte es möglichst schnell hinter mich bringen, Kastor davon zu erzählen, und umriss mit wenigen Sätzen, warum und wie ich ins Meer gestürzt war, nur, um in der Sphäre wiederaufzutauchen.

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