Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
ausgereicht, um in meinem Kopf ein Chaos anzurichten, weil eine Frage hundert andere auslöste. So, wie es aussah, würde ich nicht darum herumkommen, mich einer älteren Schattenschwinge unterzuordnen, wenn ich die Sphäre begreifen wollte. Zwar gefiel mir der Gedanke an jemanden, der mich bevormunden würde, nicht im Geringsten. Doch wenn ich zu Mila zurückkehren wollte, würde mir kein anderer Weg übrig bleiben.
19
Die Lichtwandlerin
Mila
Zu mir! Er ist zu mir zurückgekehrt, dachte ich ungläubig, während ich mich enger in Sams Arme schmiegte. Trotz all der unfassbaren Dinge, die er mir soeben mit seiner klaren, zielgerichteten Art erzählt hatte, war es dieses wunderschöne Liebesgeständnis, das mich gefangen hielt. Es war ihm, allen Widerständen zum Trotz, gelungen, das Meer zu passieren. Und nicht nur das - er hatte mich sogar in die Sphäre mitgenommen.
So unauffällig es ging, hob ich den Kopf. Sam war nach seiner Erzählung in Schweigen verfallen und ich wollte ihn nicht aufschrecken. Langsam ließ ich meinen Blick umherschweifen, denn ich wollte nur allzu gern dasselbe für die Sphäre empfinden wie Sam. Für ihn war sie ein lebendiger, berauschender Ort voller Farben, doch für mich war sie ein Schwarzweißfilm aus einer fernen Zeit, als der Mensch der Natur noch schutzlos ausgeliefert war. Ich konnte es mir noch so sehr wünschen, mich hier heimisch zu fühlen, die Sphäre schüchterte mich ein. Selbst hier auf dieser schönen Lichtung, die Sam ausgesucht hatte.
»Dir geht gerade etwas Ungutes durch den Kopf, nicht wahr?«
Ertappt zuckte ich zusammen. »Ich hatte ganz vergessen, wie gut du darin bist, Menschen zu lesen.«
»Das brauche ich gar nicht, ich kann es an deiner Anspannung erkennen«, erklärte Sam. »Die ganze Zeit über hast du so ruhig in meinen Armen gelegen, dass ich nicht einmal darüber nachgedacht habe, ob ich mit meinem Redefluss nicht lieber mal eine Pause einlegen sollte. Aber jetzt hast du deine Muskeln mit einem Mal angespannt, als würdest du dich auf einen Kampf vorbereiten.«
»Höchstens auf einen Kampf mit mir selbst.«
Erneut schmiegte ich mich in Sams Arme, der es allem Anschein nach nicht überbekam, mich festzuhalten. Um mich abzulenken, begann ich an dem Shirt herumzuspielen, das immer noch um seinen Unterarm gewickelt war. Als ich jedoch den frischesten Schnitt frei gelegt hatte, zog ich die Finger zurück, als hätte ich mich daran verbrannt. Wie konnten längst vernarbte Messerschnitte nur so eine Magie entfalten? Denn um nichts anderes handelte es sich ja. Dass mich diese Magie berührte, verstörte mich mehr, als ich mir eingestehen mochte. Vermutlich wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, um Sam davon zu berichten, was damals passiert war, als ich die Symbole das erste Mal betrachtet hatte. Wie dieser Schatten nach mir gegriffen hatte, mit dem Ziel, sich meiner zu bemächtigen. Aber ich brachte es nicht über mich. Zu groß war meine Furcht, Sam könnte auf die Idee kommen, dass er eine Gefahr für mich darstellte. Zu oft hatte er in dieser Nacht nun schon daran gezweifelt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als er mich in sein Geheimnis einweihte. Außerdem sah es doch ganz danach aus, als wenn er die Symbole beherrschte. »Wie kommt es eigentlich, dass du trotz der Zeichen wechseln konntest?«
Ich spürte, wie ein Schauder durch Sams Körper lief und die Härchen auf seinen Unterarmen sich aufstellten. »Ich habe dir ja erzählt, dass die Narben beim Wechsel aufklaffen, anstelle von Blut jedoch etwas Schattenartiges herausströmt. Die Symbole sind quasi Risse in der Wirklichkeit, aber Risse kann man zusammenhalten. Das habe ich gelernt, obwohl es alles andere als angenehm gewesen ist. Diese Aura, die mich umgibt, lässt sich ähnlich einer Hand einsetzen, die sich auf die Symbole legt. Es hilft allerdings, wenn ich die Narben außerdem bedeckt halte. Ohne diesen zusätzlichen Schutz würde es mir wohl nicht gelingen, die Schatten zurückzudrängen, die nach mir greifen.«
Unwillkürlich musste ich an das Bild denken, das ich von Sam gemalt hatte. Es zeigte ihn nicht in der Sphäre, sondern in der Umarmung dieses Schattenkokons. Ich hatte gemalt, wie Sam in ihm gefangen war, aber auch, wie er Widerstand zu leisten begonnen hatte. Sein Gesicht hatte er sich auf meinem Bild ja bereits freigekämpft gehabt.
»Du kannst die Zeichen jetzt also beherrschen?«
Sam kaute auf seiner Unterlippe herum, den Kopf gesenkt, sodass seine Haare
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