Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
das zu Shirin gesagt hatte, war es Nikolai, der den Kopf schüttelte und sich vor mich stellte. »Tut mir leid, Mila. Aber dein Freundschaftsbesuch wird heute wohl ausfallen müssen.«
»Sagt wer?« Ich blickte zur Diele hinüber, um den Abstand zur Haustür abzumessen. Wie viele Schwingenschläge brauchte es, um sie vor mir zu erreichen? »Shirin, kannst du dem Kerl bitte mal klarmachen, dass er hier überhaupt nichts zu melden hat?«
»Damit hat sie vollkommen recht«, stimmte Shirin mir zu, die Hände in die Hüften gestemmt.
Weiter kam sie nicht, denn Nikolai legte ihr den Zeigefinger über die Lippen. »Du hältst jetzt den Mund, meine Liebe«, sagte er, wobei seine Aura heller wurde. Diese umgab ihn nun wie einen spiegelnden Kranz und leuchtete so stark, dass ich ihre Auswirkung spürte: Die Atmosphäre verdichtete sich, die Luft legte sich wie eine samtige Hülle auf meine Haut und hinter meiner Stirn bereitete sich ein wattiges Gefühl aus – dabei war ich alles andere als müde. Shirins Augen weiteten sich, der Rest ihres Körpers hingegen gefror. Selbst als Nikolais Fingerspitze spielerisch über die Konturen ihrer Lippen fuhr, regte sie sich nicht.
Hilflos stand ich da, denn ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sich gerade zwischen den beiden abspielte. »Alles okay?«, fragte ich leise.
Leider war es Nikolai und nicht Shirin, der sich mir zudrehte. »Es ist alles ganz wunderbar.«
Nun, ich zumindest vertrat da eine komplett andere Meinung, wenn ich mir die erstarrte Shirin so anschaute. Trotzdem nickte ich und sagte: »Super! Dann macht ihr zwei euch doch einen schönen Vormittag. Ich bin dann mal weg.«
Nikolai schenkte mir ein träges Lächeln, das mich an eine Raubkatze erinnerte, die der Maus aus Spaß am Spiel einen kleinen Vorsprung zugestand. Unglücklicherweise fühlte ich mich wie die Maus. Mein rasendes Herz lag mir auf der Zunge, als ich betont langsam auf den Ausgang zuging. Ich hielt mich an der Hoffnung fest, dass Kastor sich in der Zwischenzeit noch nicht allzu weit vom Haus entfernt hatte. Diese Sache hier war eindeutig eine Nummer zu groß für mich, das bestätigte mir allein die sich immer weiter verdichtende Atmosphäre, die meine Glieder mit Blei füllte, während mir eine verführerische Stimme zuflüsterte, dass es an der Zeit sei, sich dem Schlaf zu überlassen.
Als ich die Hand auf die Türklinke legte, verharrte ich trotz allem.
Auf meiner Haut war ein feiner silbriger Glanz.
Es ist Zeit für einen Traum.
Ich wollte herumfahren, stattdessen stand ich reglos da. Drück die Klinke! Du musst hier raus! Mein eigener Schrei, der mir aber niemals über die Lippen kam, hallte in meinem Kopf, der sich rasant schnell in einen luftleeren Raum verwandelte. Mit Mühe drängte ich den Eindruck zurück, meinen Körper zu verlassen und ins Dunkel des Schlafes einzutauchen.
Hör auf dich zu wehren.
»Auf keinen Fall«, brachte ich mit schwerer Zunge hervor. Endlich gelang es mir, die Türklinke hinabzudrücken, da berührte auch schon ein Luftzug meinen Nacken. Nicht Raubkatze, nein. Nikolai hat was von einem Raubvogel, korrigierte ich mich. Doch da war es schon zu spät. Ein schmerzhafter Griff in meinen Nacken. Die Beute war geschlagen.
28
Ein Willkommensgruß
Sam
»Sitz nicht rum und blas Trübsal, sondern tu was!«
Das klang schon besser, eindeutig kraftvoller als die Male zuvor.
Einverstanden, es war eigenartig, in diesem beengten Wohnwagen auf mich selbst einzureden, nur leider blieb mir nichts anderes übrig. Die Alternative bestand darin, weiterhin in Selbstmitleid zu versinken und dann würde die von Mila verordnete Auszeit definitiv niemals enden. Mein Entschluss stand fest: Ich würde die Sache angehen. Und zwar mit Vollgas. Jetzt musste der Funke nur noch auf meine müden Glieder überspringen. Die zeigten sich allerdings nicht sonderlich beeindruckt von meinen Motivationsversuchen. Ich hockte wie angewachsen auf dem Bett.
»Na los, Sam. Bekomm endlich den Hintern hoch. Diese Selbstmitleidsnummer ist Mist. Wenn du diese Auszeit beenden willst, dann musst du dich zusammenreißen und Mila beweisen, dass es dir ernst ist mit dem Leben in St. Martin. Und dass du ab jetzt für immer in der Menschenwelt bleibst.«
Himmel, den letzten Satz hätte ich mir lieber schenken sollen. Die bloße Vorstellung, für immer in St. Martin zu sein, presste mir schier die Luft ab. Für immer Menschenwelt – absolutes Horrorszenario.
Da half nur eins: Ich musste mich auf Mila
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