Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
konzentrieren, musste das Ziel im Auge behalten. An ihrer Seite würde
alles gut werden, darauf musste ich bauen. Für andere Dinge war kein Platz, Punkt und Schluss. Schon gar nicht für einen verzweifelten Miyamoto Asami, das ging einfach nicht. Ansonsten konnte ich mich gleich in der Mitte durchschneiden, schön der Länge nach. Eine Hälfte für Mila, eine Hälfte für die Sphäre … Wer zu viel will, bekommt oftmals gar nichts, oder?
Bevor ich noch weiteren mentalen Blödsinn verzapfen konnte, stieß ich mich vom Bett ab, schnappte mir einige Anziehsachen und sah zu, dass ich aus dem Wohnwagen rauskam. Auch wenn ich mit Asami gebrochen hatte, so musste das noch lange nicht für die Lektionen gelten, die er mir erteilt hatte. Handeln geht vor Reden. Richtig.
In diesem Moment klopfte Kastor laut und deutlich gegen meine mentale Tür. Großartig, er war meinetwegen also auch in die Menschenwelt gewechselt. Obwohl es mich fast umbrachte, ignorierte ich seinen Versuch, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich kam mir zwar wie ein Mistkerl vor, weil ich mich nicht von ihm verabschieden würde, aber ich sah keine andere Lösung. Wenn ich Kastor an mich ranließ, mich womöglich sogar mit ihm traf, war das Risiko zu groß, dass ich von meinem Vorhaben abkam. Ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen: für Mila und gegen die Sphäre. Anders ging es einfach nicht.
Bevor ich mich in Richtung Stadt aufmachte, wobei ich Kastors Anklopfen mehr und mehr ausblendete, schlüpfte ich in ein Paar ausgetretene Chucks von Luca. Der Durchschnittsbürger von St. Martin trug Schuhe, ergo tat ich das auch, obwohl sie sich eher wie Betonklötze anfühlten. Nun, ich würde mich sicherlich wieder daran gewöhnen, der Weg zum ehemaligen Haus meiner Familie war nicht gerade kurz.
Irgendwie kam es mir richtig vor, bei meinem Neuanfang da anzusetzen, wo mein altes Leben aufgehört hatte: an dem
Ort, an dem mein Vater mir geheimnisvolle Zeichen in den Unterarm geschnitten hatte, nachdem jemand ihn des Nachts dazu angestiftet hatte, während er sich in seinen Träumen herumwälzte. Das war meine erste Berührung mit der Sphäre gewesen und genau dort wollte ich auch von ihr Abschied nehmen.
An diesem Vormittag lag die Straße verlassen da. Die Ferien waren vorbei, der Alltag war wieder in St. Martin eingezogen und das Wetter so trübe, dass nicht einmal die Rentner Lust auf einen Spaziergang hatten. Gut für mich, denn obwohl ich mir das Schild meiner Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte, kam ich mir vor, als würde ständig ein großer roter Pfeil auf mich zeigen. Nachdem ich die Hauptstraße passiert hatte, ohne dass sich jemand nach mir umgedreht oder gar meinen Namen gerufen hatte, entspannte ich mich langsam. Das lief besser als vermutet. Warum auch nicht? Nach fast fünf Monaten hielt eben niemand mehr nach mir Ausschau. Selbst wenn, so hätte es nichts geändert – schließlich ging es ja darum, mich nicht länger zu verstecken.
»Ja, genau«, schimpfte ich leise vor mich hin. »In Wirklichkeit willst du dir eben doch noch ein Hintertürchen offen halten, weil du weiterhin hoffst, eine Lösung zu finden, bei der du gar nichts aufgeben musst. So geht das aber nicht, Bristol.«
Entschlossen zog ich den Ärmel meines Wollpullovers hoch, bis das breite Lederarmband freilag, unter dem sich die Narben verbargen. Wenn ich tatsächlich nicht zurück in die Sphäre wollte, dann brauchte ich es auch nicht mehr zu tragen. Also ab damit. Bevor ich allerdings auch nur die Schnüre öffnen konnte, baute sich eine kurvige Gestalt vor mir auf.
»Wahnsinn! Sam, das bist du ja wirklich!«
Zu laute Stimme, blonde Mähne, Schönheitsköniginnen-Make-up: Jette, Chris’ Freundin. Mist.
»Hi, Jette. Das ist ja ein Ding, dass ich ausgerechnet dir in die Arme laufe. Echt super. Wie geht’s?«
»Wie es geht? Die Frage ist doch wohl nicht dein Ernst. Mann, Sam! Ich kann es überhaupt nicht fassen, dass du es wirklich bist. Ich meine: Du bist doch tot.«
Ich zwang mich dazu, keine Grimasse zu schneiden. »Komisch, dabei fühl ich mich ganz lebendig. Das hätte mir jemand auch schon früher sagen können, dass ich tot bin, dann müsste ich hier jetzt nicht rumlaufen.«
Jette brach in ihr helles Lachen aus, das ihr zu Schulzeiten stets hundert Prozent Aufmerksamkeit garantiert hatte. Dabei warf sie den Kopf in den Nacken und hielt sich zum Ausgleich an mir fest. Nicht dass sie noch umfiel, klar. »Humor hast du auch entwickelt in den letzten Monaten«,
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