Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
»Du bist also abgehauen, obwohl alle Welt nach dir gesucht hat, und jetzt bist du wegen dem Bambi mit diesem ätzenden Kurzhaarschnitt zurück? Ich glaub dir kein Wort.«
»Du hast recht. Eigentlich geht es mir nur darum, Geld aus der Story rauszuschlagen. Kennst du jemanden beim Wochenblatt, an den ich meine Geschichte verticken kann, bevor ich erneut aufbreche, um woanders tolle Sachen zu machen?«
Nachdenklich knabberte Jette an ihrer Unterlippe, dann entschied sie sich für einen Kurswechsel. »Weißt du schon, wo du heute Nacht schläfst?«
Diese Frage erwischte mich nun trotz meiner Fähigkeit, ihre Gedanken zu lesen, kalt. Wer kam auch schon mit solchen abrupten Themenwechseln klar? Ich stand da wie belämmert, während Jettes Zeigefinger über meine Brust strich.
»So eine Rückkehr muss doch gefeiert werden …«
Das war der Augenblick, in dem ich in ihre Erinnerung eingriff, schlicht, weil ich mich komplett überfordert fühlte. Nicht besonders heldenhaft und ganz bestimmt nicht okay, aber gegen diese Frau kam ich nicht anders an. Es war leicht, wenn auch gerade nicht angenehm, weil ich dabei einiges von dem mitbekam, was ihr so an Gedanken kamen. Das kleine Biest. Ja, ich musste sie unbedingt dazu bringen, sich endlich zu verabschieden.
Jette schüttelte den Kopf, als wolle sie einen lästigen Gedanken verscheuchen. Dabei verfestigte sich gerade ein neuer, den ich ihr eingepflanzt hatte. »Du, das ist jetzt zwar blöd, aber ich muss sofort los. Da war ein Job-Aushang in dieser coolen Boutique in der Strandstraße. Nicht dass ich Geld brauchen würde, ich find nur deren Klamotten super. Das wäre auch nur so zur Überbrückung, ich will ganz bestimmt nicht Verkäuferin werden. Trotzdem sollte ich zusehen,
dass ich da aufschlage, bevor sich eine andere den Job schnappt. Hier, ich gebe dir meine Nummer.« Sie kramte einen Zettel aus ihrer Handtasche hervor, auf dem bereits eine Ziffernreihe draufstand. Sah ganz danach aus, als wäre sie hervorragend für den Fall der Fälle ausgerüstet. »Ruf mich später an, dann können wir für heute Abend was ausmachen. Wenn es gut läuft, können wir sogar auf meinen neuen Job anstoßen. Du weißt schon, was ich meine.«
Bevor ich mich versah, hatte Jette mir einen innigen Kuss auf die Lippen gedrückt, dann stürmte sie mit wehenden Haaren davon, als rechnete sie fest damit, ich würde sie ansonsten zum Bleiben zwingen.
Einen Moment lang stand ich kopfschüttelnd da, weil ich einfach nicht dahinterkam, woher Jette bloß ihr Selbstvertrauen nahm. Ein klasse Aussehen in allen Ehren, aber dachte sie wirklich, dass das über ihre Egotour hinwegzusehen half? Bei Chris zweifelsohne, für den war sie die reinste Trophäe gewesen. Okay, je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Kerle fielen mir ein, die an Jettes Art ziemlich viel Vergnügen gehabt hätten. Das änderte jedoch nichts daran, dass mich ihre dreiste Anmache komplett abtörnte. Da war Mila ganz anders gewesen: auf ihre Art zwar selbstbewusst, aber dabei stets im harmonischen Zusammenspiel mit mir, weil meine Reaktionen ihr wichtig gewesen waren. Oder weil die Chemie einfach gestimmt hatte. Warum formulierte ich das alles bloß in der Vergangenheitsform? Als wäre es endgültig vorbei und nicht nur eine Auszeit, die ich möglichst kurz halten würde …
In Gedanken versunken, wollte ich den Ärmel über das Lederarmband schieben, als mir etwas einfiel. Vorsichtig holte ich den Bernsteinring unter dem eng anliegenden Leder hervor und betrachtete ihn. Warm und lebendig fühlte der Bernstein sich an, ganz anders als das feste Material, aus dem
Shirins Armreifen waren. Die Beziehung, für die dieser Bernstein stand, war noch lange kein Zeugnis der Vergangenheit, seine Form noch nicht erstarrt. Was aus Mila und mir werden würde, lag in unserer Hand. Ich musste schmunzeln. »Daran musst du mich immer aufs Neue erinnern«, flüsterte ich ihm zu, ehe ich ihn an meinen Ringfinger steckte. Genau da gehörte er hin. Zumindest eine Sache war großartig, wenn es um ein Leben in St. Martin ging: Den Ring würde ich offen tragen können, genau wie ich meine Gefühle für Mila zeigen durfte … sobald sie mich wieder bei sich haben wollte. Wie aufs Stichwort lief ich die Straße hoch, um genau diesen Prozess zu beschleunigen. Je eher ich einen Schlussstrich unter die Sphäre zog, desto besser.
29
Beschattetes Haus
Das Haus, aus dem die Mitglieder meiner Familie – eins nach dem anderen – geflohen waren, bis
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