Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
Gegner eine Schnittwunde beigebracht, elegant und tödlich. Das plumpe Gehaue haben die Samurais lieber den Barbaren überlassen. Zu denen ich zweifelsohne zählte, wenn man Asamis gepresst hervorgebrachten Korrekturen lauschte.
»Mit dem linken Arm die Scheide weiter zurückziehen. Weiter. Weiter, sage ich. Nein, die Klinge darf nicht absacken, sobald sie aus der Scheide ist. Du musst in einem sauberen Bogen … Was machst du da mit deiner Hüfte? Natürlich drehst du sie ein, elender Barbar.«
Sagte ich doch.
Mittlerweile war die Sonne aufgegangen. Zu meiner Überraschung kündigte sich ein blasser friedlicher Morgen an, und ich stand immer noch in der Ausgangsstellung da und machte alles, aber auch alles falsch.
Obwohl es mir durchaus einleuchtete, was diese ewigen Wiederholungen sollten, machte sich allmählich Ungeduld in mir breit. Perfektionismus hin oder her, letztendlich mussten die Übungen doch zu etwas gut sein. »Solltest du mir nicht eher beibringen, wie ich jemanden attackiere?«
»Das wäre reine Zeitverschwendung.« Asami warf mir einen Blick zu, der herablassend und belustigt zugleich ausfiel. »So langsam, wie du ziehst, brauchst du dir um eine feindliche Attacke keine Gedanken zu machen, weil du nämlich schon tot bist, bevor es richtig losgeht. Kopf ab«, fügte er unnötigerweise hinzu, was wohl seiner Vorstellung von Humor entsprach.
»Kopf ab, klar«, wiederholte ich zwischen aufeinandergebissenen Zähnen. »Weil in der Sphäre ja auch so viele Leute mit einem Katana herumlaufen.«
Während Asami mein Standbein mit seinem Fuß in den richtigen Winkel schob – das übrigens hundertpro im richtigen Winkel stand! –, sagte er gelassen: »Willst du diskutieren oder etwas lernen?«
»Etwas lernen natürlich. Lernen, wie ich einen Gegner mit dem Schwert angreife und wie ich mich damit verteidige. Außerdem: Ich stand bereits richtig.«
»Halt den Mund.« Asami stupste gegen meine Ferse, damit sie ungefähr einen Millimeter mehr nach rechts zeigte.
Ich hätte schreien könne, richtig brüllen wie ein Wahnsinniger und dabei mit dem Schwert auf etwas einschlagen, ohne vorher die Scheide abzuziehen. Stattdessen hörte ich brav zu, wie Asami mir vorbetete, was ich dieses Mal richtig machen sollte, und versuchte dann, es umzusetzen. Und dann noch einmal, und dann noch einmal …
Gefühlte fünf Millionen Mal später zog ich das Schwert immer noch nicht annähernd schnell genug, wenn es nach Asamis Maßstäben ging. Dafür kannte ich jetzt Muskeln in meinem Körper, von deren Existenz ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte. Jahrelanges Thaiboxen hin oder her, die Muskeln in meinen Unterarmen zitterten und ich glaubte, meinen Nacken nie wieder bewegen zu können. Besonders in meiner linken Hand pochte es schmerzhaft, weil mein fehlender kleiner Finger mir Probleme bereitete. Es gelang mir zwar ganz passabel, den fehlenden Druck auf dem Griff durch Technik auszugleichen, trotzdem blieb es anstrengend. Dennoch ging ich gehorsam in die Ausgangsstellung, als Asami mich erneut aufforderte, mein Schwert zu ziehen. Für Rachegedanken war einfach kein Platz mehr hinter meiner Stirn.
Als ich diesmal meine Finger um den Griff legte, der Daumen meiner linken Hand das Metall der Tsuba suchend, vergaß ich meine schmerzenden Glieder und meinen Widerwillen. Ruhe und Gelassenheit breiteten sich in mir aus, während ich die einstudierten Bewegungen ausführte. Alles erschien mir sehr langsam vonstatten zu gehen, fast als würde ich ein Gebet aufsagen und als wären die einzelnen Schritte nicht mehr als ein Teil des Ganzen. Meine Augen folgten dem weiten Bogen, den das Katana beschrieb, und ich hörte sein Singen, als würde es auf mein
Gebet antworten. Als meine Klinge geschmeidig in ihre Scheide zurückgeglitten war, stand ich noch einige Atemzüge lang da.
In mir bündelte sich eine Kraft, doch sie verlangte nicht danach, umgesetzt zu werden. Sie war einfach da, ein warmes Zentrum in mir. Staunend umkreiste ich die Quelle in meinem Inneren, die sich so unvermittelt durch das Iaido aufgetan hatte. War mir zuvor niemals aufgefallen, dass sie in mir fehlte, so konnte ich mir nun unmöglich vorstellen, sie wieder zu verlieren. Ähnlich wie meine Schwingen war die Quelle in der Sekunde, in der ich sie kennengelernt hatte, zu einem bedeutenden Teil meiner selbst geworden. Anders als bei den Schwingen jedoch wusste ich nicht, wozu ich diese Kraftquelle verwenden sollte. Allerdings drängte es mich im Augenblick
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