Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
waren die Folgen des Nistens in der Regel nicht so offensichtlich wie bei Juna«, fuhr Asami mit seiner kühlen Art fort. »Die meisten Opfer glaubten lange Zeit, dass es ihr eigener Wille sei, dem sie folgten, weil sie den Eindringling fälschlicherweise für einen Teil ihrer Selbst hielten. Wenn sie dann feststellten, dass sie den Einflüsterungen eines anderen gefolgt waren, konnten sie kaum noch zwischen sich und dem Eindringling unterscheiden. Er hatte sie kurzerhand übernommen.«
Ich verlagerte mein Gleichgewicht und spürte dabei, wie klamm der Sand unter mir war. Am Himmel kreisten Möwen, auf der Suche nach einem Frühstückshappen. Ich machte mir klar, dass Asami die Vergangenheitsform benutzt
hatte. Er erzählte Geschichten aus einer Sphäre, die es schon lange nicht mehr gab. Die Kunst des Nistens war mit ihrem Schöpfer, dem Schatten, untergegangen.
»Niemand, der an unserer Versammlung teilnimmt, ist ausreichend in diesen Künsten bewandert – so viel steht doch mittlerweile fest«, brachte ich meine Überlegungen auf den Punkt.
Asami nickte. »Wer sich in ihnen auskannte, ob nun, um sie selbst zu verwenden oder um sie abzuwehren, ist im Krieg gefallen oder hat sich später das Leben genommen. Die Schattenschwingen, die überlebt haben, waren vor dem Krieg nichts anderes als Randfiguren. Ihnen mangelt es an Wissen und Kraft.«
»Und von uns Jüngeren kann es auch keiner gewesen sein, denn schließlich habt ihr Wächter uns unablässig überwacht«, fuhr ich fort. »Da konnte keiner unbeachtet Fähigkeiten entwickeln.«
»Ja, genau. Da hat uns ein Haufen Ahnungsloser niedergehalten«, brachte Ranuken sich mit einem abfälligen Grunzen ein. Ich hatte ihn ganz vergessen, und auch Asami zuckte sichtlich zusammen. »Wie Juna, die große Reden schwingt, aber außer viel heißer Luft bisher nichts produziert hat. Nur im Giftigsein ist sie unschlagbar.«
Asami machte sich nicht einmal die Mühe, sich Ranuken zuzudrehen, als er ihm antwortete. Seine gesamte Aufmerksamkeit war weiterhin auf mich gerichtet. »Das alles mag auf die meisten alten Schattenschwingen zutreffen – nicht aber auf Shirin. Sie gehörte dem Schatten, sie hat diese Art der Magie am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und sie hat ihn letztendlich mit seinen eigenen Mitteln besiegt.«
Wut packte mich. Ruppig setzte ich ein Stück zurück, was Asami aus dem Gleichgewicht brachte. Kurz flackerte ein
Anflug von Verletztheit in seinen Zügen auf, doch gleich darauf hatte er sich schon wieder unter Kontrolle.
»Shirin hat dem Schatten nicht gehört wie ein läppischer Gegenstand, sie hat ihn geliebt. Das ist ein ziemlich großer Unterschied«, stellte ich entschieden fest.
Natürlich ließ sich Asami nicht überzeugen. »Das hat er offensichtlich anders gesehen, ansonsten hätte er ihr wohl kaum die Bernsteinreifen angelegt, um sie seinem Willen zu unterwerfen.«
»Oder um sie an sich zu binden …«, dachte Ranuken laut nach, wobei mich sein ernster Tonfall aufhorchen ließ. Der kleine Kerl machte sich tatsächlich Gedanken. Ich musste ziemlich überrascht dreingeblickt haben, denn Ranuken lächelte verlegen. »Na, dazu sind Ringe doch da: um sich zu binden. So geht das doch, oder? Vielleicht hat er ja auch solche Ringe um die Handgelenke getragen, weil er auch ihr gehörte.«
»Was Shirin nur noch verdächtiger machen würde.« Die bösen Blicke, die Ranuken und ich Asami unisono zuwarfen, prallten wirkungslos an ihm ab. »Wenn er ihr mit der gleichen Hingabe gehörte, wie sie ihm, dann kann es nicht ohne Grund sein, dass sie nicht gemeinsam untergegangen sind. Dann stellt sich die Frage, ob sie nicht seit jeher eine Marionette ist, deren Einsatz erst jetzt zum Tragen kommt.«
»Was für eine Scheißtheorie!«, brüllte Ranuken, noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte. »Mann, wenn Shirin dir schon einmal den Marsch geblasen hätte, wüsstest du, dass so eine Frau nicht die Marionette von irgendeinem Kerl aus der Vergangenheit ist. Entweder sie tut etwas aus Überzeugung oder gar nicht. Punkt.«
Um seinen Standpunkt zu bekräftigen, verschränkte Ranuken die Arme vor der Brust. Vielleicht brachte er aber
auch nur seine Hände in Sicherheit, damit Asami nicht noch einmal demonstrieren konnte, wie leicht es war, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen.
Doch Asami beachtete ihn nicht weiter. Für ihn war es scheinbar ohne Bedeutung, was einer wie Ranuken dachte, der in der Welt der Schattenschwingen, wie Asami sie sah,
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