Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
keine Rolle spielte. Ich sah das allerdings anders, und zwar nicht bloß, weil der Rotschopf mein Freund war. Ranukens Charakter war unverfälscht, außerdem kannte er Shirin von uns allen am längsten. Aber auch ich, obwohl ich sie erst seit dem Sommer life und in Farbe erlebt hatte, konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Shirin eine Art Schläfer war, der jetzt plötzlich erwacht war, um einen alten, bösen Plan auszuführen. Was hätte denn der Auslöser dafür sein sollen?
»Lass dich von Asami nicht ärgern, Ranuken. Er glaubt selbst nicht, was er da sagt. Ansonsten hätte er Juna bei ihren Bemühungen, Shirin zu bestrafen, umgehend unterstützt. Stattdessen zögert er ihre Bestrafung immerzu hinaus. Er hält sie für unschuldig, genau wie wir.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte Asami mit einem undeutbaren Lächeln. »Manche Gegner muss man ganz nah an sich herankommen lassen, bevor man sie schlagen kann. Womit wir beim eigentlichen Thema unserer heutigen Zusammenkunft wären: dem Schwertkampf. Samuel, kleide dich bitte um, damit wir das Schwert begrüßen können.«
»Und was ist mit mir, was soll ich tun?«, fragte Ranuken ungewohnt schüchtern.
»Am besten jemand anderem die Zeit stehlen.« Da war sie wieder: Asamis unvergleichliche Arroganz. »Wir haben zu tun.«
»Ja, klar! Mir steht eh nicht der Sinn danach, mit diesen
albernen Schwertern herumzuwedeln. Die sind ja nicht einmal scharf.«
Mit einem Satz war Ranuken in der Luft.
»Ranuken, warte!«, rief ich ihm hinterher, doch er blickte nicht zurück. Aufgebracht wandte ich mich Asami zu. »Das ist so was von überflüssig gewesen. Warum führst du dich Ranuken gegenüber dermaßen herrisch auf?«
»Der braucht das. Wenn ich so sanft mit ihm umspringen würde wie du, wäre er bald vollkommen außer Rand und Band. Der Bursche hat nur Flausen im Kopf, da ist es nur gut, dass er etwas Respekt vor mir hat.«
»Respekt kann man sich auch auf andere Weise verdienen«, hielt ich entgegen. Ich war so aufgebracht, dass ich den Gürtel verhedderte, den ich um meine Hüften schlingen wollte. Asami streckte fordernd seine Hand aus. Obwohl ich zu gern seine Finger weggeschlagen hätte, überließ ich ihm das schwarze Stoffband, damit er es mir richtig umband.
»Ich kenne deine Techniken, dir Respekt zu verschaffen. Ich habe sie am eigenen Leib erfahren«, sagte Asami, während er mich umdrehte, um den Obi im Rücken schmerzhaft fest zuzuknoten. »Aber ich glaube nicht, dass es für Ranuken das Richtige wäre, ihm die Schwingen zu brechen, damit er sich unterwirft.«
Dabei berührten seine Fingerspitzen ganz leicht jene Stelle an meinen Schultern, durch die die Schwingen hervorbrachen. Mit einem Satz sprang ich vor und presste meinen Handrücken gegen meine Lippen, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
»Tu das nie wieder«, forderte ich ihn auf, sobald ich mich wieder unter Kontrolle hatte.
Asami holte das Katana, das er für mich mitgebracht hatte, und reichte es mir. »Wie du willst.«
In dem Moment, da ich es nahm, verschwanden sämtliche verwirrenden Gedanken, und vor mir stand mein Iaido-Lehrer. Nicht der Erste Wächter, nicht die Schattenschwinge, die beinahe Mila getötet hätte, nicht Asami, der sich meinem Willen unterordnete, und auch nicht jemand, dessen Verbindung zu mir ich nicht in Worte fassen konnte. Die sich nicht in Worte fassen ließ, weil ich sie nicht begriff. Das Katana versprach Klarheit und Zielgerichtetheit, wenn auch nur für kurze Zeit.
6
Blutgruß
Unten bei den Klippen herrschte ein rauer Aufwind, der es mir schwer machte, meine Position zu halten. Ich konnte immer noch nicht richtig glauben, was Asami vorhatte. Ich verharrte, so gut es ging, vor ihm in der Luft, obwohl er bei jedem Schlag seiner Schwingen das Gesicht verzog, weil ihn die Bruchstellen anhaltend quälten.
»Jetzt mal im Klartext: in diesem unheimlichen Loch da wollen wir heute trainieren?« Mit dem Zeigefinger deutete ich auf den Höhleneingang, der nicht mehr als eine düstere Spalte im Gestein war. »Ich meine, einmal davon abgesehen, dass die Flut im Kommen ist und das Innere in einen wilden Wasserkessel verwandeln wird, ist es in einer Höhle auch dunkel und … wie soll ich sagen … ziemlich eng.«
Ich fing mir eins von Asamis arroganten Lächeln ein, die ich wirklich hasste. Er hielt sich ein Stück über mir in der Luft, sorgsam darauf bedacht, dass die hoch auffahrenden Wellenspitzen nicht seine nackten Füße
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