Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
er geschickt auf seine Marionetten. Der Schatten hat unser Volk in ein Geflecht aus Scheingefechten verstrickt, bei denen niemand wirklich wusste, wer gegen wen war.«
Ranuken wedelte lässig mit der Hand herum. »Gruselgeschichten, pah. Damit habt ihr Alten uns bislang klein gehalten. Und wenn ich mir unseren gutgläubigen Sam so anschaue, warst du bereits erfolgreich: Der traut sich demnächst ohne deine Hilfe keinen Fuß mehr vor den anderen zu setzen. Außerdem klingt diese Nummer mit dem Einnisten überhaupt nicht nach uns. Wir Schattenschwingen sind ein Trupp aus Eigenbrötlern, wir machen schon aus Prinzip nichts, was ein anderer von uns will. Nicht einmal, wenn es zu unseren Gunsten wäre.«
Anstelle einer Antwort glitt Asami mit seiner unheimlichen Schnelligkeit hinter Ranuken, packte dessen Handgelenke und brachte ihn dazu, zwei Mal laut in die Hände zu klatschen, ehe Ranuken sich schimpfend aus dem Griff befreite.
»Was soll denn der Mist? Sag ihm, dass er das nicht darf, Sam. Mich einfach so zu nötigen, Frechheit!«
Wenn Asami die kleine Spitze gegen Ranuken genoss, dann ließ er sich zumindest nichts anmerken. Stattdessen dozierte er kühl weiter. »Wie du siehst, lässt sich keiner von uns freiwillig seinen Willen nehmen. In diesem Punkt hat Ranuken recht. Man muss also schon raffinierter vorgehen, zum Beispiel, indem man sein Opfer heimlich mit einem Zeichen versieht, durch das man sich bei ihm einschleicht. Dann flüstert man ihm ein, was man sich wünscht, bis derjenige glaubt, dass es sein eigener Wille sei.«
Wie ein Leuchtfeuer aus der Vergangenheit tauchte vor meinem inneren Auge das Bild auf, wie mein Vater sich auf
der anderen Seite des Zimmers monatelang gequält im Schlaf hin und her warf, bis er sich schließlich an meinem fünfzehnten Geburtstag auf mich gestürzt und mir die Zeichen ins Fleisch geschnitten hatte. Immer stärker verdichtete sich in mir die Ahnung von einer Schattenschwinge, die Jonas’ Schlaf dazu benutzt hatte, um mich zu zeichnen – auch wenn ich nach wie vor nicht wusste, wozu die Zeichen dienen sollten.
»Indem man durch Träume zu ihm spricht«, brachte ich atemlos hervor.
Asami musterte mich aufmerksam. »Menschen kann man möglicherweise über ihre Träume erreichen, aber der Schlaf von uns Schattenschwingen ist geschützt. Was siehst du, wenn du träumst, Samuel?«
»Schwarz und Weiß, in einem ewigen Tanz ineinander verschlungen.«
»Ja.« Asamis Stimme wurde leise, beinahe zärtlich. Langsam kniete er sich vor mich nieder, bis sich mein eigenes Gesicht in seinen glänzenden schwarzen Augen spiegelte.
Seine Nähe fühlte sich einerseits vollkommen richtig an, denn immer noch hallte die Empfindung meiner Traumwelt in mir nach. Wir waren beide Schattenschwingen, waren von der gleichen Art. Andererseits irritierte es mich nach wie vor, wenn er seine Distanziertheit aufgab. Das Kräftemessen zwischen uns hatte mehr verändert, als ich zu begreifen imstande war. Seitdem betrachtete er mich als seinen Herrn, seinen Schüler und als seinen … wie sollte ich es nennen? Freund traf es nicht. Es war auch nicht das, was ich für ihn empfand. Zu sehr trug ich ihm nach, dass er Mila zu töten versucht hatte. Dieser Bruch zwischen uns würde niemals zu kitten sein. Und doch baute sich eine Bindung zwischen uns auf, die mindestens ebenso stark wie Freundschaft war.
»Schwarz und Weiß«, wiederholte Asami. »Das ist es, was wir Schattenschwingen sind, das ist unser Ursprung, von dem wir jede Nacht träumen. Er ist uns allen gemeinsam. Im Gegensatz zu den Menschen haben wir nämlich eine klare Bestimmung, Samuel. Das ändert jedoch nichts daran, dass auch wir für Versuchungen anfällig sind. Unsere Aura ist eine starke Waffe und ein Schutzschild … solange sie uns gehört. Wenn wir nicht auf sie achtgeben, kann ein anderer in uns eindringen, und wenn er stark genug und in diesen Künsten bewandert ist, kann er uns die Kraft unserer Aura rauben. Du hast Juna auf der Versammlung gesehen, als sie die Zeichen auf ihrer Haut freigelegt hat: Sie hat am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, jene Kraft zu verlieren, die uns zu Schattenschwingen macht.«
Mit einem Anflug von Beklemmung dachte ich an Junas für eine Schattenschwinge ungewöhnlich gealterten Körper, der über und über mit Zeichen bedeckt war. Jemand hatte sich ihrer Aura bedient. Allein diese Vorstellung ließ mein Herz schneller schlagen. Das war grausamer, als eine Hand zu verlieren.
»Allerdings
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